1984 erschien dann die erste LP der Böhsen Onkelz bei dem Plattenlabel Rock-O-Rama: „Der Nette Mann“. Rock-O-Rama ist heute dafür bekannt, hauptsächlich mit Faschobands zusammenzuarbeiten, hatte aber damals fast ausschließlich Punksachen im Repertoire.
Edmund Hartsch: „Der nette Mann‘ handelte in erster Linie von den klassischen Interessen der Zwanzigjährigen mit asozialem Hintergrund. Saufen, Ficken, Fußball, Mord und Todschlag.“
Die Onkelz sangen über das, was ihr Leben bestimmte. Die Gewalt auf der Straße, die die Onkelz täglich miterlebten, wurde geschildert, es gab ein Lied über die Verbundenheit der Band zu Deutschland und gleich drei Hymnen für die Skinheadbewegung im Ska-Beat, in denen sie den Reiz des Skinhead-Seins beschrieben. Die Onkelz waren Skinheads aus voller Überzeugung und das sollte ruhig jeder wissen. „[Der nette Mann“] war, und ist zum Teil immer noch, eine sehr bedeutende Platte für die deutsche Skinheadszene.
Stolz
Einer von vielen mit rasiertem Kopf
Du steckst nicht zurück, denn Du hast keine Angst
Shermans, Braces, Jeans und Boots
Deutschlandfahne, denn darauf bist du stolz
Man lacht über Dich, weil Du Arbeiter bist
Doch darauf bin ich stolz, ich hör‘ nicht auf den Mist
Du bist Skinhead, Du bist stolz
Du bist Skinhead, schrei’s heraus
Du bist Skinhead, Du bist stolz
Du bist Skinhead, schrei’s heraus
Du hörst Onkelz, wenn Du zuhause bist
Du bist einer von ihnen, denn Du bist nicht allein
Du bist tätowiert auf Deiner Brust
Denn Du weißt welcher Kult für Dich am besten ist
Die Leute schau’n auf Dich mit Hass in den Augen
Sie schimpfen Dir nach und erzählen Lügen über Dich
Deutschland
Auch zwölf dunkle Jahre in Deiner Geschichte
Macht uns’re Verbundenheit zu Dir nicht zunichte
Es gibt kein Land frei von Dreck und Scherben
Wir sind hier geboren, wir wollen hier sterben
Deutschland, Deutschland – Vaterland
Deutschland, Deutschland – mein Heimatland
Den Stolz, deutsch zu sein, woll’n sie Dir nehmen
Das Land in den Dreck ziehn, die Fahne verhöhnen
Doch wir sind stolz, in Dir geboren zu sein
Wir sind stolz darauf, Deutsche zu sein
Es gibt kein Land frei von Dreck und Scherben
Wir sind hier geboren, wir wollen hier sterben
Deutsche Frauen, deutsches Bier
Schwarz-Rot-Gold, wir steh’n zu Dir!
Die Onkelz waren wahrlich stolz darauf Deutsche zu sein bzw. in Deutschland geboren zu sein (denn Kevin ist eigentlich Halb-Engländer und hat einen britischen Pass). Das Deutschlandlied war die totale Provokation. Denn sie wollten sich das zugestehen, was in anderen Ländern als etwas ganz Normales anerkannt wurde, nämlich stolz auf sein Land zu sein.
Die Onkelz wollten damit ausdrücken, dass sie keine Schuld daran tragen, was in den Jahren 1933 bis 1945 (die „zwölf dunklen Jahre“) passiert ist, dass sie damit nichts zu tun haben und dass sie es beschissen fanden, dass das Land von den eigenen Landsleuten immer wieder in den Dreck gezogen wurde.
Stephan in einer Talkshow 1985: „Ich kann halt dieses ganze Gerede, von diesen miesen scheiß Schuldkomplexen, von dem, was passiert ist vor vierzig Jahren, die kann ich einfach nicht mehr hören… Heute muss man sich schämen, Deutscher zu sein, das ist ’n bisschen traurig..“
Das Lied sagt zwar aus, dass die Böhsen Onkelz Deutschland toll fanden, deutsche Frauen, deutsches Bier etc., hat aber keine faschistische Aussage. Es ist aber natürlich (auch dadurch, dass Nationalstolz in Deutschland ein Tabu-Thema ist und gleich als faschistisch angesehen wird) ein Lied, welches die Faschisten für sich auslegen können und was sie sehr anspricht. Durch dieses Lied festigte sich dann auch das Bild der Böhsen Onkelz als rechte Kultband.
Ein Onkelzfan: „Ich habe nie verstanden, wie jemand stolz sein kann ein Deutscher, Amerikaner, Franzose usw. zu sein… Stolz sein kann ich nur auf meine eigenen Leistungen sein, nicht aber auf eine Gegebenheit, auf die ich selbst keinen Einfluss habe. Wenn ich selbst keine besonderen Fähigkeiten habe, muss ich eben stolz sein ein Deutscher zu sein. Übertriebenes Nationalbewusstsein werden für mich z.B. auf Schützenfesten und Volksfesten deutlich. Wenn hier Deutsche in Uniformen marschieren und singen regt sich niemand darüber auf.“
Stephan meint 1988, dass sie bei einigen Provokationen zu weit gegangen sind:
„Indem wir gemerkt haben, wenn wir versucht haben, einen patriotischen Ausdruck in unsere Lieder zu bringen, dass die Leute das nicht mehr verstanden haben. Dass die die Texte halt weglassen oder nicht hören wollen in denen wir singen, dass wir das nicht wollen, wie es 33-45 war. Die hören dann einfach nur den Chor, in dem es heißt ‚Deutschland, Deutschland‘ und fangen an, die Hand hochzurecken. Da haben wir einen Fehler gemacht, dass wir das nicht noch klarer dargestellt haben.“
Diese Platte wurde 1986 von der Bundesprüfstelle für Jugendgefährdende Schriften indiziert. Aus dem Indizierungsbericht: „Sie ist geeignet, Kinder oder Jugendliche sozialethisch zu desorientieren… Einige Lieder dieser Schallplatte propagieren nationalsozialistisches Gedankengut, andere fordern zu Gewalttätigkeiten auf und eines hat pornographischen Inhalt..“ Die Onkelz konnten über den Indizierungsbericht nur lachen. Die Prüfer hatten die Lieder nicht nur, ihrer Meinung nach, falsch interpretiert, sondern auch die Texte nicht verstanden und sich ganze Textzeilen ausgedacht. Die Böhsen Onkelz sagen, sie hätten nur keinen Einspruch eingelegt, weil sie auf diese Platte inzwischen keinen Wert mehr legen.
Das Propagieren von nationalsozialistischem Gedankengut bezogen die Prüfer nicht etwa auf das Deutschlandlied, denn dieses wurde mit keiner Zeile in dem Indizierungsbericht erwähnt, sondern auf den Hooligan-Song Frankreich 84:
Sommer 84 fahren wir nach Frankreich,
um unsere National Elf siegen zu sehen,
um für unser Land gerade zustehen.
Fußball Europameister es gibt nur einen,
Deutschland heißt er,
Deutschland, Deutschland ist die Macht
Laßt uns unsere Fahne hissen,
unseren Gegnern vor die Füße pissen
Die Band spielt damit auf die Ereignisse im Zweiten Weltkrieg an. Sie stellen den Kriegsbeginn mit Frankreich als positiv dar.. Das französische Volk wird wie Freiwild beschrieben.“, interpretiert die Bundesprüfstelle das Lied. Frankreich ’84 hatte für die Onkelz nichts mit Hitler oder dem Zweiten Weltkrieg zu tun, sondern nur mit der Eurpameisterschaft und der übertriebenen Liebe zur deutschen Mannschaft und der Hoffnung darauf, die Gegner zu besiegen.
Stephan 1988 dazu: „Da ging das Interesse an Fußball vielleicht ein bisschen zu weit, vielleicht auch an Ausschreitungen unter Fans usw., das ging halt ein bisschen verloren, das wurde vielleicht ein bisschen zu politisch dargestellt. Vielleicht haben wir auch einen Fehler gemacht im Texte schreiben und nicht deutlich genug ausgedrückt, was wir damit meinen. Ich meine, wir haben einen ziemlichen Hass auf die Franzosen gehabt zu dieser Zeit, wir haben da so auf die Schnauze bekommen von den Bullen, und das war so ein bisschen Haßtirade auch auf die, das war schon dabei, aber es sollte eigentlich keine Volksverhetzung oder irgend so ein Quatsch sein, also damit haben wir nichts am Hut.“
Von den patriotischen Texten distanzieren sich die Onkelz heute, und auch von der Gewalt haben die Onkelz abgelassen, aber das Titelstück, der nette Mann, spielen sie immer noch. Sie sind der Meinung, dass es von den Prüfern falsch verstanden wurde.
Die Bundesprüfstelle: „..dieses Lied verherrlicht Kindesmißhandlungen und zerstückelungen, es predigt Mord an kleinen Kindern… Perverses Menschenschlachten wird als herrlich, vorbildlich und nachahmenswert geschildert.“
Stephan sagt dazu :
„Wenn ich Richter bin und solche Lieder indiziere, dann muss ich schon auch verstehen, wie das gemeint ist. Ich denk‘, Leute, die an solch einer Position sitzen, müssten ein bisschen mehr Grips im Kopf haben… Mich interessiert die Psyche von Menschen. Deswegen schreib ich oft Lieder über Verrückte oder Gewaltverbrecher oder auch Kindermörder, weil das die absoluten Normalbürger Nummer 1 sind…
Sicherlich ist der Text sehr provokant, sehr blutrünstig auch. Aber das ist ja kein Thema, was man beschönigen sollte… Wenn ich mir in der BILD-Zeitung oder im Stern Bilder von Kriegen angucke, dann sind die ja auch nicht koloriert oder beschönigt… Und genauso ist es mit dem Text auch. Ich finde es ein brutales und ätzendes Thema, und das sollte man auch auf seine fieseste Art darstellen. Ich finds nicht geschmacklos, würde es heute aber etwas anders schreiben, aber die Aussage ist o.k. Ich glaub‘, dass Leute die das richtig anhörten, wie Alice Schwarzer, das auch verstanden haben… Ich wollte damit den Leuten ’nen Spiegel vors Gesicht halten und ihnen sagen wollen, pass mal auf, dein Nachbar könnt‘ so jemand sein.“
Und das Skinheadpublikum der Onkelz hat es höchstwahrscheinlich auch so verstanden wie es gemeint war, denn Gewalt gegen Frauen und Kinder war in der Szene stark verpönt.
„Der nette Mann“ spielten die Onkelz immer noch auf vielen ihrer Konzerte, obwohl es verboten ist und sie dafür oft Strafe zahlen müssen. In Hannover 1996 waren zwei Polizisten extra dafür da, um darauf zu achten, ob dieses Lied gespielt wird.
Die Onkelz spielten es natürlich trotzdem oder gerade deshalb, und Stephan machte dazu folgende Ansage: „Wir spielen dieses Lied nicht, um eine scheiß Plattenfirma wie Rock-O-Rama zu unterstützen, sondern nur, weil wir glauben, dass es in einer Zeit, wo es von Päderasten und Kindermördern nur so wimmelt, aktueller ist denn je und um euch zu zeigen, dass wir uns von niemandem etwas verbieten lassen. „Der ‚fucking‘ nette Mann‘, für die Bullen!“ Dafür mussten die Onkelz dann 40.000 Mark Strafe bezahlen. Edmund Hartsch: „40.000 Eier für ein brutales Lied gegen noch brutalere Kindermörder!!
Aber die Bundesprüfstelle kritisierte nicht nur die Texte der Platte, sondern zum guten Schluss auch noch die Musik der Band. „…wobei es ihnen nur mit Mühe gelingt, ihren offensichtlichen Ekel vor dieser Art von entarteter Kunst zwischen den Zeilen zu verstecken..“ wie es Klaus Farin und Eberhard Seidel-Pielen 1993 in ihrem Buch „Skinheads“ ausdrücken.
„Insbesondere stellen die Lieder auf der Platte keine Kunst dar und dienen ihr auch nicht.“ heißt es in dem Indizierungsbericht, „Ein Kunstwerk liegt nämlich nur dann vor, wenn ein bestimmtes Maß an künstlerischem Niveau vorliegt. Dies beurteilt sich nicht allein an ästhetischen Kriterien, sondern auch nach dem Gewicht, das das Kunstwerk für die pluralistische Gesellschaft nach deren Vorstellungen über die Funktion der Kunst hat.“ Mit anderen bzw. Farins Worten: „Was der Mehrheit nicht gefällt, ist keine Kunst und gehört verboten.“ oder „Was Kunst ist, drüber entscheiden immer noch wir.“(E. Hartsch) BPS: „Die Lieder der vorliegenden Platte sind für die pluralische Gesellschaft ohne jede Bedeutung.
Weder die Stilrichtung der Musik noch die Inhalte der Texte sind so bedeutsam bzw. von derart hohem künstlerischem Gewicht, dass sie der Kunst dienen würden.“ Den Onkelz schien dieser Vorwurf zu gefallen, und brüsteten sich 1996 mit der Textzeile „…entartete Kunst von den fantastischen Viern..“
Ein Fan: „Irgendwie ist die Indizierung des Albums sicher gerechtfertigt, auch wenn die Gründe dafür, wie sie die BPS angibt, lächerlich sind.“
1985 erschienen zwei weitere LPs der Böhsen Onkelz: „Böse Menschen, böse Lieder“ und „Mexico“. Die Stücke hatten immer noch ähnliche Themen, allerdings gab es keine Songs mehr mit patriotischen Texten, und auch Fußballgewalt war für sie uninteressant geworden.
Edmund Hartsch:„Stephan war inzwischen der Meinung, dass es sich nicht lohnte, auf ein Land stolz zu sein, das die Probleme seiner Jugend nicht ernst nahm. Einigkeit und Stolz waren für ihn Dinge, die nichts mehr mit nationalen Grenzen zu tun hatten.“
Statt dessen kamen Themen wie Religion und Politik zum Vorschein. Die Gewalt auf der Straße wurde nur noch als überlebensnotwendig und nicht mehr nur als „just for fun“ beschrieben. Das Kindermörder-Thema wurde noch einmal in eindeutigerer Form aufgegriffen in dem Lied „Ein Mensch wie du und ich“. Außerdem gibt es einen Song über das, was die Presse und dadurch wohl auch die Gesellschaft schon zu dieser Zeit über Skinheads dachte und in dem sie zeigen, dass sie mit Nazis nichts zu tun haben wollen. Als die LP letztendlich erscheint, haben sich allerdings einige der Bandmitglieder die Haare schon etwas länger wachsen lassen.
Häßlich, brutal und gewalttätig
Wir tragen alle Hakenkreuze
Skinheads haben nur Gewalt im Sinn
Ist es das, was ihr hören wolltet?
Dass wir hirnlose Schläger sind?
Gewalt, Gewalt, Gewalt
Nackte Gewalt, Gewalt
Aaahhh
Wir sind hässlich, brutal
Und gewalttätig
Wir schrecken vor nichts zurück
Wir sind hässlich, brutal
Und gewalttätig
Wir sind total verrückt
In den Medien steht es immer wieder
Dass wir Schlägertrupps und Nazis sind
Doch wir haben uns nichts vorzuwerfen
Denn es ist ihr Gerede, das stinkt
Nennt mich Gott
Nennt mich Gott oder wie es Euch gefällt
verkauft Eure Sünden für teures Geld
der Heiligenschein ist total verdreckt
die Gläubiger sind – sie sind mit Sünden befleckt
Dicke Priester sie lachen Euch aus
Sie leben wie Fürsten und nutzen Euch aus
Gesetze der Straße
Zeig‘ was Du denkst, tu was Du willst
Nur verlier‘ nie dein Gesicht
Zeig‘ keine Schwäche, zeig‘ keine Angst
Denn Verlierer zählen nicht
Kampf in den Stadien
Kampf in den Straßen
Nie endende Gewalt
Sind Ausdruck des Unmuts und der Arbeitslosigkeit
Hass
Sie hindern Dich so gut es geht
Deinen Weg zu geh’n
Unsere Herr’n Politiker
Sie woll’n Dich nicht ersteh’n
Ich hab‘ ’n Haß, so’n Haß
Ich hab‘ ’n Haß, so’n Haß
Sie reden nur und reden
Und nichts kommt dabei raus
Viele Worte keine Taten
Für Nichtstun noch Applaus
Ich hab‘ ’n Haß, so’n Haß
Ich hab‘ ’n Haß, so’n Haß
Arbeitslose Jugendliche
Sind heute schon normal
Die Reichen immer reicher
Alles and’re ist egal
Meine Verachtung haben sie
Ich kann sie nicht mehr seh’n
Das sind Menschen die von Freiheit reden
Und nicht dazu steh’n
Kevin 1987: „Das ist überhaupt kein Thema, weil: Politik in diesem Land ist undurchführbar. Deswegen interessiert mich Politik einen Scheißdreck, ja, ich will nur leben, wie ich will, das ist alles. Politik, und sich politisch überhaupt organisieren ist das letzte! Das ist so ne Zeitverschwendung… Wir waren nie politisch motiviert. Überhaupt nicht. Uninteressant. Saufen, Pogo und richtig Gewalt ohne Ende, war alles!“
Stephan 1987: „Politik ist ein pures Gerangel um Macht und Geld, der Mensch und seine Bedürfnisse gelten nichts. Die einzige Partei, die zur Zeit noch einen Hauch von Glaubwürdigkeit besitzt, sind die Grünen. Sie könnten eine echte Alternative bieten, wenn sie zur Geschlossenheit zurückfinden würden…“
und 1988: „Also, ich wähl nicht mehr. Ich hab früher gewählt und eigentlich auch ziemlich links gewählt, weil mit rechten Parteien kann ich mich ja überhaupt nicht identifizieren. Aber ich kann mich mittlerweile nicht mehr mit linken Parteien identifizieren. Ich kann mich mit gar niemanden mehr identifizieren.“