Indizierungsbericht - Der nette Mann

  • 1986 wurde das Debüt-Album der Böhsen Onkelz, "Der nette Mann", wegen nationalsozialistischen, gewaltverherrlichenden und pornographischen Texten indiziert, also auf den Index für jugendgefährdende Schriften gesetzt, und schließlich auch beschlagnahmt, also verboten.

    Im Folgenden finden sich die relevanten Auszüge aus dem Indizierungsbericht, und es gibt dazu wichtige Anmerkungen (schon weil hier gravierende Fehler gemacht wurden) und Hintergrundinformationen.

    Hintergrund: Indizierung


    In Deutschland gibt es eine Behörde, die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien ("BPjM"; früher "... Schriften" -> "BPjS"), die dafür sorgt, dass Kinder und Jugendliche nicht in Berührung mit für sie ungeeignete Medien kommen. Jugendgefährdend sind z.B. Pornographie, Verharmlosung von Gewalt, Krieg oder Drogen, Aufrufe zu Verbrechen oder Propaganda für Rassismus oder Nationalsozialismus.


    Medien mit derartigen Inhalten werden indiziert, also auf einen Index der jugendgefährdenden Medien gesetzt. Die darin gelisteten Medien sind zwar entgegen der weit verbreiteten Meinung nicht verboten, unterliegen aber bestimmten Beschränkungen: Man darf sie Minderjährigen unter Strafandrohung nicht zugänglich machen, sie ihnen also nicht anbieten oder vorführen, öffentlich bewerben oder auch nur namentlich nennen. Abseits von Minderjährigen ist mit den indizierten Medien weiterhin alles erlaubt.


    Der Indizierungsvorgang


    Inzwischen ist das Verfahren neu geregelt, zu Zeiten des "netten Mannes" jedoch konnte und musste die BPjS außer in ganz wenigen Ausnahmefällen nur auf begründeten Antrag von Jugendämtern tätig werden. Normalerweise geschah das in einem Gremium von zwölf Leuten, in Fällen offensichtlicher und besonders schwerer Jugendgefährdung durfte die BPjS (sofern der Urheber der Schrift keine Einwände dagegen hatte) zu dritt entscheiden, dann allerdings einstimmig.


    Bis zu einem Monat nach einer Indizierungsentscheidung im Dreier-Gremium konnte der "Verfahrensbeteiligte" noch die Neuprüfung durch das Zwölfer-Gremium beantragen. Tat er das nicht, oder kam das Zwölfer-Gremium zur selben Entscheidung, wurde die Indizierung im Bundesanzeiger bekannt gegeben und damit rechtskräftig. Der Verfahrensbeteiligte hatte dann nur noch die Möglichkeit, einen ziemlich aussichtslosen Antrag auf Listenstreichung an die BPjS zu stellen oder sich von einem Gericht bestätigen zu lassen, dass die Indizierung unrechtmäßig war.


    Eine Indizierung ist unrechtmäßig, wenn keine Jugendgefährdung festzustellen ist, wenn diese z.B. von der künstlerischen oder historischen Bedeutung der Schrift überwogen wird, oder wenn sich die Entscheidung der BPjS allein auf z.B. den politischen Inhalt der Schrift begründet hat, der jedoch nicht gegen das Grundgesetz verstößt.


    "Der nette Mann"...


    1986 beklagt der Landesjugendwohlfahrtsausschuss Rheinland zunehmende faschistische Tendenzen in der Rockmusik, woraufhin im Juni und Juli je zwei Stadt- und Landesjugendämter (Köln und Gladbeck, Westfalen-Lippe und Rheinland) Antrag auf Indizierung einer Reihe von Tonträgern, darunter immer "Der nette Mann", stellten. Da Rock-o-Rama keinerlei Einsprüche zu vermelden hatte, wurde am 15. August im Dreier-Gremium verhandelt, ohne dass Rock-o-Rama hieran teilnahm.


    Und so verwundert es dann auch nicht, dass Rock-o-Rama auch nach der Indizierung (Begründung weiter unten) weder Anfechtungsklage erhoben, noch eine Nachprüfung im Zwölfer-Gremium beantragt hat. Und das, obwohl nicht nur die Texte teilweise falsch verstanden und falsch interpretiert wurden, sondern die BPjS dem Werk zu Unrecht auch jeglichen Wert für die Kunst aberkannt hat.


    Die Indizierung wurde am 30. August mit dem Erscheinen des Bundesanzeiger Nr. 160 amtlich und hat seither auch allen Interventionsversuchen der Onkelz standgehalten (z.B. vor Gericht 1987, 1999 und 2000).


    ...und das davor...


    Der Tonträger-Index war 1986 noch kurz. Zwar wurden schon Jahrzehnte lang immer wieder Schallplatten mit Hitlerreden und dergleichem indiziert, und in den Siebzigern begann die BPjS auch vereinzelt, die Covers von Metal-Platten (nicht aber die Platten selbst) zu indizieren, aber Tonträger mit moderner Musik wurden erstmals 1982 indiziert: Einmal Reggae, einmal Rock, und einmal der erste Teil der Sampler-Reihe "Soundtracks zum Untergang" (auf dessen zweiten Volume auch die Onkelz vertreten waren). Dann kam, außer einer Platte mit dem Titel "Telefonsex", nichts mehr, bis die BPjS 1986 in einer Sitzung gleich zwei Platten indizierte - eine davon von einer Naziband und die andere war "Der nette Mann", und dieser somit eine der allerersten indizierten Musik-Schallplatten überhaupt.


    Was dem Erfolg des Albums allerdings keinesfalls geschadet hat: In den beiden Jahren, in denen es frei erhältlich war, wurde es nur rund 2.000 Mal verkauft - nach der Indizierung soll es nach Schätzungen bis zu einer Million Mal raubkopiert worden sein.


    Die Behauptung jedoch, die Onkelz hätten mit "Der nette Mann" aus Kalkül eine Platte abgeliefert, die verboten werden sollte, um die Band so bekannt zu machen, kann getrost abgewiesen werden - es gab damals einfach noch so gut wie gar keine Erfahrungen mit Indizierungen von Tonträgern. Es ist auch keineswegs so, dass mit dem Verbot der Erfolg der Onkelz sprunghaft angestiegen wäre.


    ...und danach


    Gefolgt sind seither etliche weitere Tonträger. Darunter auch einige der Onkelz, wenn auch nichts offizielles. 1993 wurde die Rock-o-Rama-Single "[Link]Hässlich" indiziert - sie enthielt zusätzlich zu dem zuvor unveröffentlichten Track vier der sechs indizierten Lieder vom netten Mann, die Indizierung war somit vorhersehbar. 1998 schließlich indizierte die BPjS auf einen Schlag sieben Onkelz-Bootlegs (sowieso illegale Tonträger mit denen die Onkelz selbst nichts zu tun haben), die jeweils auch eines oder mehrere der indizierten Stücke enthalten, und zum Teil auch wegen zweier Demosongs: "Türken raus" und "[Link]SS-Staat" wurden bei dieser Gelegenheit gleich mitindiziert. 2003 und 2005 folgten je ein weiteres Bootleg.


    Die Folgen der Indizierungen: Keines der sechs indizierten Lieder vom netten Mann und der indizierten Demos darf mehr veröffentlicht oder öffentlich gespielt werden (wenn die Onkelz auf ihren Konzerten heute trotzdem z.B. "[Link]Der nette Mann" spielen, hat das Geldstrafen im fünfstelligen Bereich pro Mann zur Folge). Für die anderen Songs auf den indizierten Alben (z.B. das durchaus fragwürdige "Tanz auf deinem Grab" vom netten Mann, dem man ohne weiteres Gewaltverherrlichung nachsagen könnte) gilt das natürlich nicht.




    Begründungen der BPjS:


    Die Kommentare der Bundesprüfstelle zu den sechs beanstandeten Songs (von insgesamt 14 auf dem Album), sowie einige Anmerkungen meinerseits und teilweise auch Kommentare der Onkelz finden sich in den jeweiligen Song-Infos:


    Frankreich '84 (NS-Propaganda)

    Fußball + Gewalt (Gewaltverherrlichung)

    Der nette Mann (Gewaltverherrlichung)

    Mädchen (Pornographie)

    Dr. Martens Beat (Gewaltverherrlichung)

    Böhse Onkelz (NS-Propaganda)


    Das Lied "Deutschland" auf dem selben Album wurde von den Prüfern nicht erwähnt - aus gutem Grund: Der Text enthält nicht nur ein Bekenntnis zu den schwarz-rot-goldenen Farben der deutschen Republik, sondern auch eine Brandmarkung der Nazizeit als "zwölf dunkle Jahre". Das hätte natürlich schwerlich in das Nazi-Gesamtbild gepasst.


    Abschließend meinen die Prüfer dafür folgendes:


    "Ausnahmetatbestände nach § 1 Abs. 2 GjS kommen nicht in Betracht. Insbesondere stellen die Lieder auf der Schallplatte keine Kunst dar und dienen ihr auch nicht. Ein Kunstwerk liegt nämlich nur dann vor, wenn ein bestimmtes Maß an künstlerischem Niveau vorliegt. Dies beurteilt sich nicht allein nach ästhetischen Kriterien, sondern auch nach dem Gewicht, das das Kunstwerk für die pluralistische Gesellschaft nach deren Vorstellungen über die Funktion der Kunst hat. Dabei ist nicht nur auf die Stilrichtung der Musik sondern auch auf den Inhalt der Texte abzustellen.


    Die Lieder der vorliegenden Schallplatte sind für die pluralistische Gesellschaft ohne jede Bedeutung. Weder die Stilrichtung der Musik noch die Inhalte der Texte sind so bedeutsam bzw. von derart hohem künstlerischem Gewicht, dass sie der Kunst dienen würden."


    Einem Kunstwerk genau diesen Status abzusprechen ist nicht nur eine fragwürdige Praxis der BPjS, sondern inzwischen auch eine illegale. 1990 entschied das Bundesverfassungsgericht in einem anderen Fall, dass es nicht Sache der BPjS ist, festzulegen, was Kunst ist und was nicht. Insbesondere dürfe Kunst auch jugendgefährdende Inhalt haben.


    Die Indizierung der Autobiographie einer Prostituierten, über die konkret verhandelt worden war, wurde aufgehoben, für die restliche Arbeit der Bundesprüfstelle - die Kunst nunmal nur in besonders schweren Fällen von Jugendgefährdung indizieren darf (und genau deswegen auch den "netten Mann" als künstlerisch wertlos definiert hat) - hatte dies aber offenbar keine besonderen Auswirkungen...




    Mit der Indizierung aber noch nicht genug - das Album wurde im selben Jahr auch noch beschlagnahmt und eingezogen.


    Hintergrund: Beschlagnahme


    Zusätzlich zur Indizierung, welche einem Verbot ja nicht gleichzusetzen ist, wurde "Der nette Mann" ein paar Monate später allerdings auch noch beschlagnahmt und bundesweit eingezogen - das ist faktisch ein Verbot. Beschlagnahmen sind auch nicht Sache der Bundesprüfstelle, sondern der Staatsanwaltschaften und der Gerichte, schließlich darf ihnen nicht mehr nur simple Jugendgefährdung zugrunde liegen, sondern es muss mit der Verbreitung des entsprechenden Mediums eine Straftat vorliegen und es somit als "sozialschädlich" gelten.


    In der Regel wird wegen Volksverhetzung oder wegen sadistischer, pädophiler oder sodomistischer Pornographie beschlagnahmt. Der Verkauf beschlagnahmter Medien ist in Deutschland generell ein Straftatbestand, und Besitzer müssen zwar nicht mit einer Strafe, wohl aber mit der Beschlagnahme auch ihres Exemplares rechnen.


    Zum Glück für die Liebhaber des Onkelz-Debüts verjähren Beschlagnahmen nach zehn Jahren (und wurde hier nicht erneuert), weshalb diese strengen Einschränkungen für den "netten Mann" nicht mehr gelten. Das Aufführen des Titelstücks und mutmaßlichen Beschlagnahmegrundes könnte aber unter Umständen dennoch als Vergehen wie dem Aufruf zu Straftaten gewertet werden.


    "Der nette Mann", das davor und danach


    "Der nette Mann" wurde am 5. Dezember 1986, also keine vier Monate nach der Indizierung, auch beschlagnahmt und eingezogen. Grund war hier der 131 StGB, der heute "Gewaltverherrlichung" heißt und natürlich auch genau diese und deren Verbreitung verbietet. 184 (sadistische, pädophile oder sodomistische Pornographie) und StGB, 130 (Volksverhetzung) blieben hier unberrührt.


    Was aber nicht unbedingt heißt, dass das Amtsgericht Brühl den netten Mann damals nicht doch genau wegen angeblicher Volksverhetzung beschlagnahmen ließ - 1986 war 131 StGB nämlich noch mit "Gewaltverherrlichung; Aufstachelung zum Rassenhass" betitelt und inhaltsmäßig natürlich entsprechend erweitert. Ob jene "Aufstachelung zum Rassenhass" nun tatsächlich eine Rolle gespielt hat oder nicht, kann ich ohne die mir nicht vorliegende Urteilsbegründung nicht sagen.


    Interessant zu wissen ist, dass vor "Der nette Mann" in der Bundesrepublik kein einziger (!) Tonträger beschlagnahmt worden war. Und zumindest nach 131 StGB ist er bis heute einer von gerade mal fünfen, von denen ein weiterer das Onkelz-Bootleg "Der nette Mann + Demos" ist.

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