Distanzierungen 1997

  • 1997

    Stichwort: Bruch des Interviewboykotts

    Stephan: Und da haben wir gesagt, wir können zu diesem Thema [Rostock, Mölln] nicht mehr schweigen, sondern müssen jetzt an die Öffentlichkeit gehen und müssen uns dazu äußern. Vor allen Dingen, dass uns unsere Fans nicht falsch verstehen. Nicht denken, wir würden tatsächlich so etwas tolerieren beziehungsweise könnten uns mit so etwas identifizieren.



    Break Out, 1997



    Stichwort: Buch

    Stephan: Dieses Buch wird nochmals ein ganz wichtiger Schritt für die Band, denn mit dieser Veröffentlichung schaffen wir uns viele Missverständnisse vom Hals. […] Das Buch ist sehr offen, wie nicht anders zu erwarten steht da alles drin, was man von den Onkelz erwarten kann: Viel Gewalt, viel Schicksal, Scheiße, die wir gebaut haben – aber auch positive Sachen, die man rausziehen kann, wenn man es durchgelesen hat. Die Sache ist sehr schonungslos, wir haben nicht hinter dem Berg gehalten mit allem, was so passierte. […] Im Prinzip steht da alles drin, was es über uns zu wissen gibt!

    Gonzo: Als wir vor fast drei Jahren dieses Buchprojekt angedacht haben, haben wir darüber gesprochen, dass nichts schöngeschrieben werden soll. Wir wollen uns in kein bestimmtes Licht setzen oder irgendwelche Tatsachen verändern. Jeder von uns hat sich gesagt: „In dieses Buch kommt die absolute Wahrheit rein, und jeder soll darüber nachdenken, ob er damit leben kann, dass dem so ist“. Und der Entschluss fiel dann einstimmig, dieses Buch in Angriff zu nehmen.



    Break Out, 1997



    Gonzo: Der ewig hirnlose Torsten Lemmer, selbsternannter „Gauführer Rheinland“. Er erkannte in der neuen Scheibe [„E.I.N.S.“] „eine Rückbesinnung der Onkelz zu alten Kameraden“. Dies meinte er jedenfalls insbesondere im Song „Auf gute Freunde“ erkannt zu haben. Natürlich hatte er nichts Besseres zu tun, als „den gesamten Gau Rheinland“ als Besucher zu unserem Gig in Düsseldorf anzukündigen. Offensichtlich hat er da den Mund wohl etwas zu voll genommen, denn außer ihm war keiner da. Und er kam leider auch nicht in den Genuss, dabei zu sein…



    B.O.S.C. Fanzine, 1997



    Frage: Warum habt ihr die Biographie „danke für nichts“ gemacht?

    Stephan: Über uns kursieren so viele Gerüchte, und der Grund für dieses Buch war der, dass es endlich an der Zeit ist, die Wahrheit über uns auszusprechen. Dies geschah, ohne etwas zu beschönigen, etwas wegzulassen oder aber dazuzudichten.

    Ich glaube das wird einiges erklären: Warum sind wir so geworden wie wir sind! Das Buch wird auch einige Gerüchte, die über uns im Umlauf sind, korrigieren. Wir haben das Buch nicht für die Journalisten gemacht, sondern ausschließlich für die Fans, damit sie alle kapieren, wie wir in Wirklichkeit drauf sind.



    HM Breakdown, 1997



    Stephan: Wir beobachten von der Bühne ganz genau, was sich im Publikum abspielt. Randalierer oder Leute, die rechtsradikale Gesten machten, werden von den Ordnern nach draußen befördert. Früher kam es schon mal vor, dass ich selber Hand anlegen musste, wenn jemand blöd wurde. Solche Leute haben bei uns nichts zu suchen, das sagen wir dem Publikum immer wieder.



    Metal Hammer, 1997



    Stichwort: Verbot der Republikaner-Veranstaltung „Onkelz & Rave“

    Stephan: Die Reps sind leider nicht die ersten, die die Onkelz für ihre Zwecke missbrauchen. Und da kann man natürlich nicht tatenlos zuschaun – zumal einige Leute ja auf die Idee kommen könnten, wir würden solche Veranstaltungen befürworten oder uns mit solchen Parteien solidarisieren. Wir haben keinen Bock, uns vor irgendeinen politischen Karren spannen zu lassen – und schon gar nicht vor einen rechten.



    Rock Hard, 1997



    Frage: Lasst ihr euch in eine Schublade stecken?

    Stephan: Ich habe mich lange genug selbst limitiert, indem ich mich ganz am Anfang mit dem Punkding auseinandergesetzt habe und dann später mit den Skins. Diese ganze Uniformiererei, die ging mir dann irgendwann ziemlich auf den Sack, und ich habe auch keinen Bock mehr auf dieses Schubladendenken.



    Frage: Seid ihr eine politische Band?

    Stephan: Ich würde das nicht als politisch bezeichnen, obwohl einige Aussagen, die wir machen, schon als politisch bezeichnet werden können. Aber ich sehe uns nicht als eine Politrockband, im Sinne von Ton-Steine-Scherben in den Siebzigern. Sicherlich machen wir auch politische Aussagen, aber in destruktiver Form, also in dem Sinne, dass wir Politik nicht mögen. Wir halten sie nicht für menschlich und auch für nicht durchführbar, dafür aber für korrupt und verlogen.



    Frage: Wie geht ihr mit Toleranz um?

    Stephan: Es ist natürlich schwierig, jeden Moment in seinem Leben tolerant zu sein. Ich war zu lange intolerant. Ich habe mich jetzt selbst zu stark bekämpft um intolerant zu sein. Ich versuche, Toleranz zu üben, so weit mir das möglich ist, und ich erwisch mich täglich dabei, wie ich mal hier und mal da drüber schimpfe. Aber ich denke, ich lerne.

    Frage: Wie geht ihr mit Randgruppen wie Ausländern und Obdachlosen um? Was denkt ihr über die Kids, die euch nach einer Mark anschnorren?

    Stephan: Ich habe früher mal selber da gestanden und hab nach einer Mark gefragt. Deshalb kann ich mich sehr gut in die Situation reinversetzen. Es ist nicht so, dass wir mit goldenen Schallplatten geboren worden sind, sondern das war wahrscheinlich ein glücklicher Zufall. Randgruppen sind wahrscheinlich die Leute, die wir ansprechen wollen, die wir auch als unsere Fans sehen.



    Ich kann mich auch viel mehr mit ihnen identifizieren als mit Politikern oder den Schauspielern. Wir kommen ja nicht so viel mit ihnen zusammen, aber ich fühl mich eher zu denen hingezogen, als zu irgendjemand anderem. Zumal ich das aus meiner eigenen Jugend kenne. Ich bin in Hochhäusersilos großgeworden. Ich weiß, wie es ist, in der Scheiße großzuwerden. Von daher gesehen, ist das auch nicht so weit weg von mir.



    Zeitdruck, 1997



    Stephan: Fakt ist ja, dass wir selber Skins waren und das auch mit voller Überzeugung. Wobei ich da natürlich differenzieren muss, für was der Skin heute steht und für was er damals gestanden hat. Es war aber schon so, dass zum Ende unserer Skin-Zeit die Bewegung auch angefangen hat, ins rechte Lager abzudriften. Und es gab ein Konzert in Berlin, in ’nem Bunker von ’ner befreundeten – damals befreundeten – Band […].



    Und da war eben auch ein ziemlich großer Glatzenaufmarsch, da wurden halt zwischen den Liedern nur ausländerfeindliche Parolen skandiert. Das wurde irgendwann so ekelhaft, dass wir einfach gesagt haben: „Nee, das ist nicht mehr unser Weg“. […]



    Hier geht’s eigentlich um Leute, die im Prinzip Äußerungen wie „Ich bin stolz ein Deutscher zu sein“ oder „Scheiß Ausländer“ oder sonst irgendwas relativ unmotiviert von sich geben und eigentlich gar nicht merken, welches Statement sie damit abgeben – genauso wie wir das damals auch nicht gecheckt haben. Wären wir uns dieser verheerenden Folgen unserer Aussagen bewusst gewesen und was da für ein Rattenschwanz mit dran hängt, dann wäre sowas nie über unsere Lippen gekommen. Nicht, weil wir das gedacht hätten und zu feige wären, sowas zu sagen, sondern wenn man sich einfach mal dieses Ausmaß dieser Aussage mal vorstellt und dieses komplette Ding erfassen kann, dann sagt man sowas einfach nicht, man denkt es einfach noch nicht mal.

    Gonzo: Das war ein Weg, den wir da gegangen sind, der über zehn Jahre gelaufen ist und der ’ne Entwicklung in uns persönlich war. Wir sind nicht auf diesem Level stehen geblieben, was wir gerade vorher beschrieben haben und wollten da auch nicht stehen bleiben, weil uns das einfach viel zu stumpf und viel zu eng und viel zu einengend war.

    Stephan: Wir waren ja nicht politisch motiviert, sondern im Prinzip hat uns die Straße motiviert. Die Straße hat uns diese Einsichten gegeben, die ständigen Schlägereien mit ausländischen Jugendgangs und so weiter und so fort. Das hat uns ja dazu veranlasst, solche Statements abzulassen. Und nicht weil wir uns nach ’nem Vierten Reich sehnen. Also das müssen wir ja mal ganz deutlich differenzieren. Und dann muss man halt auch nochmal vielleicht erklären, dass diese Entwicklung die da stattgefunden hat, das Ganze war ja kein Ding von heute auf morgen, sondern man muss sich mal überlegen, wo wir groß geworden sind, und dass wir im Prinzip 17, 18, 19 Jahre lang nicht über den Rand unserer Hochhäuser hinausgucken konnten.



    Und die Leute, mit denen wir da zu tun haben, das sind nicht die Ausländer, die du in der Türkei oder sonst irgendwo triffst. In dem Moment, wo wir angefangen haben zu reisen, haben wir auch mal gesehen, was kulturell in anderen Ländern abging und wie die Leute dort sind, dann fängst du automatisch an, dich zu verändern. […]



    Wenn du die Leute motivierst, selbstständig denkende Menschen zu sein, dann können sie keine Rechtsradikalen mehr werden, weil das sind Blinde, die irgendwelchen dumpfen Parolen folgen. Und das ist genau das Ziel, das die Onkelz verfolgen: Leute zu selbstständig denkenden Menschen zu machen. Und dann besteht auch keine Gefahr, in so ein Lager abzudriften. […]



    Ich glaube auch, dass viele Sozialarbeiter sich auch nicht gerne die Finger schmutzig machen mit Rechten. Ich kenn das von einigen Sozialarbeitern die ich persönlich kenne, die halt wirklich auch in ihrem Freundeskreis oder auch in ihrem weiteren Berufsumfeld eben auch schon mal Schwierigkeiten bekommen, wenn sie sich wirklich sehr stark mit der Sache auseinandersetzen. Nicht nur vordergründig, sondern eben halt auch wirklich versuchen, mit den Leuten zu reden. Ziel muss es eigentlich sein, das Gespräch zu suchen und nicht Leute auszugrenzen. Und ich glaub, das ist genau das, was wir mit Rechtsradikalen machen. Wir drängen sie noch weiter in eine Ecke und lassen die da auch nicht mehr raus. Und die fühlen sich dann natürlich komplett allein gelassen und finden nur den Zusammenhalt oder die Zuneigung in ihrem kleinen Kreis, und dann isses egal, wo sie die finden. Und da ist natürlich die Gruppendynamik einfach wieder da. […]



    Fakt ist ja auch, dass ich schon glaube, dass zwar ein kleiner Teil, aber das spielt keine Rolle wie groß der ist, unserer Fans – beziehungsweise nicht nur unserer Fans, sondern überhaupt auch Leute die Musik hören – Gefahr läuft, ins rechte Lager abzudriften. Dass das nicht erkannt wird, von Leuten, die eigentlich clever genug sein sollten zu erkennen, dass gerade ’ne Band wie wir, mit der Historie und mit dem Werdegang, welche Funktion wir damit bei den Jugendlichen eigentlich haben können, welchen Einfluss wir auf junge Menschen ausüben können, nämlich anhand unserer Historie. Nicht weil wir den Finger hochheben und sagen: „Hier, wir sind die Guten und ihr seid die Bösen und das dürft ihr nicht tun!“, sondern wir sagen: „Wir sind durch die ganze Scheiße gegangen und es ist nicht nötig, dass ihr das auch tut“.



    Hessischer Rundfunk, 1997



    Frage: Du meintest, dass das Publikum im Osten noch nicht so weit ist. Diese Tour habt ihr nun doch in Schwerin gespielt. Ich war da und muss sagen, es war wirklich ziemlich scheiße. Werdet ihr auf der nächsten Tour die Neufünfländer wieder auslassen?

    Stephan: Das ist schwer zu sagen. Wir haben uns auch selbst geärgert, dass wir uns von denen haben provozieren lassen, und ich glaube, das ist genau das, was die Leute erreichen wollen. Aber auch jedes solcher Konzerte zeigt doch auch mal wieder, wie hart wir bei solchen Leuten durchgreifen und schreckt vielleicht das nächste Mal den einen oder anderen ab.



    Bodystyler, 1997



    Stichwort: Ehrlichkeit

    Stephan: Wir können uns wirklich jeden Morgen im Spiegel angucken, ohne Konzessionen gemacht zu haben, ohne Kompromisse eingegangen zu sein, aufgrund vielleicht von finanziellen Vorteilen, oder von Vorteilen um unser Ansehen in der Öffentlichkeit zu bewahren oder zu retten. Es hätte auch gar nicht anders laufen sollen, also die Fehler, die wir gemacht haben, ham‘ uns im Prinzip zu dem gemacht, was wir auch sind. Wichtig war, dass wir draus gelernt haben. Wir sind einfach nur persönliche Beispiele, wie man sein Leben meistern kann.

    Stichwort: Buch

    Stephan: Eigentlich fängt das Buch in unserer Kindheit an, um vielleicht ’n bisschen auch den Leuten zu erklären, wo wir herkommen, aus welchen Schichten wir kommen, und was uns vielleicht zu den Menschen gemacht hat, die wir heute sind. Um vielleicht auch einiges zu erklären, wie natürlich auch diese Fehler zustande gekommen sind, die wir natürlich auch im Laufe unserer Karriere, unseres Lebens vor allen Dingen, halt gemacht haben. […]



    Und dieses Buch wird auf jeden Fall mit einigen Vorurteilen auch aufräumen – es wird nix beschönigen, es wird alles zur Sprache kommen was passiert ist, aber es wird eben halt auch deutlich werden, dass sich doch nicht alles so zugetragen hat wie die Leute das in der Gerüchteküche rumgetragen haben.



    Video „Live in Dortmund„, 1997



    Frage: Euer Motto als Punks lautete: „Hauptsache dagegen“. Wusstet ihr überhaupt, gegen was ihr sein wolltet?

    Gonzo: Es war einfach Spaß.

    Stephan: Spaß an der Rebellion und Provokation. Gegen was man war spielte keine Rolle.



    Frage: Der Song „Türken raus“ entstand zu dieser Zeit. War das nicht ungewöhnlich für Punks?

    Stephan: Das war keine politisch motivierte Geschichte, sondern eine emotionale Reaktion auf unser unmittelbares Umfeld. Damit waren nur unsere direkten Gegenüber gemeint, nicht die türkische Nation. Heute würde ich so eine pauschale Aussage sicher nicht mehr machen.

    Kevin: Das war nur ein Teil von dem, gegen das wir waren. Das war nichts Politisches, sondern der Hass. Hör dir mal die anderen Songs an, die wir zu dieser Zeit aufgenommen haben, zum Beispiel „Bullenschwein“. Da sind die rotesten Lieder drauf.



    Frage: Warum habt ihr später ins Skinhead-Lager gewechselt?

    Gonzo: Der Punk wurde zum Establishment. Die Rebellion hatte an Kraft verloren, also haben wir etwas Neues gesucht, mit dem wir provozieren konnten.

    Stephan: Das war damals noch eine unpolitische, gemischte Szene.

    Kevin: Wenn es damals schon Nazi-Glatzen gegeben hätte, hätten wir uns nie daran beteiligt, sondern eher was dagegen unternommen.



    Frage: Wie kam es zu dem Rechtsbruch in der Skin-Szene?

    Stephan: Konflikte kamen erst viel später auf, als Glatzen dazukamen, die nicht der Punk-Szene entstammten.

    Gonzo: Am Anfang war das ein kleiner Kreis. Wir sind zusammen ins Fußballstadion gegangen, haben uns mit anderen Hools getroffen, die wohlgemerkt keine Skins waren, und irgendwann laberten dich dann Typen in Anzug, Krawatte und Seitenscheitel an, die dich zu einer Veranstaltung ihrer Organisation einluden.



    Stephan: Diese Leute waren bei den Skins deshalb so erfolgreich, weil schon in der Punk-Phase eine latente Ausländerfeindlichkeit vorhanden war. Die Onkelz sind nie einer Organisation hinterhergelaufen.



    Frage: In einer Talkshow gab eine 16-Jährige als ihren rechtsextremen Lieblingssong euer „[Link]Deutschland“ an. Will die nichts von eurer Wandlung wissen?

    Gonzo: Die nimmt sich genau das raus, was sie braucht. Die kennt weder uns, noch unseren Werdegang oder unsere Arbeit in den letzten zehn Jahren.

    Stephan: Wir können nicht verleugnen, dass es rechte Leute gibt, die unsere Musik hören und nach wie vor unsere Aussagen gegen Rechtsradikalität und Ausländerfeindlichkeit ignorieren. Dieser Song war nicht rechtsradikal, sondern übertrieben patriotisch. Es gibt eine Textzeile, in der wir die Zeit von 1933 bis 1945 als dunkle Jahre der Geschichte bezeichnen.



    Frage: Trotzdem hat Kevin mit Nazi-Gesten posiert.

    Kevin: Das war aber nicht weil ich mich für das Dritte Reich habe begeistern lassen. Das diente nur zum Provozieren.



    Frage: Provokation, ohne sich Gedanken darüber zu machen?

    Stephan: Ja, klar: Das war einfach blöd, reine Dummheit. Man sollte aber einem Jugendlichen zugestehen, dumm zu sein. Du kannst so jemanden nicht mit Gewaltverbrechern gleichstellen, die sechs Millionen Juden umgebracht haben. Diese Typen haben mit der ursprünglichen Skin-Bewegung nichts mehr zu tun. Der Hitlergruß ist eines der wenigen Dinge, die in unserem Staat noch provozieren können. Die Leute, die den Arm heben, wissen doch gar nicht, was sie da machen.



    Frage: In eurem Anti-Nazi-Song „[Link]Deutschland im Herbst“ heißt es: „Hirnlose Parolen von Idioten und Verlieren“. Habt ihr damit auch euch selber während der Skin-Zeit gemeint?

    Stephan: Bis zu einem gewissen Grad bestimmt. Nur haben wir nicht verloren, weil wir nicht verlieren wollten. Ein Verlierer ist jemand, der nicht nach Gewinn strebt, sondern in der Masse untergeht. Jemand, der nach Schwächeren tritt – das ist ein Idiot und Verlierer. Zum Beispiel jemand, der behauptet, dass ihm ein Ausländer seinen Job wegnimmt.



    Frage: Ende 1985 begann der Ausstieg aus der Skin-Szene. War es schwer, da rauszukommen?

    Kevin: Es war eine Phase, die Zeit brauchte. Im Kopf musste sich nichts ändern, weil nichts abzulegen war.

    Stephan: Niemand von uns musste eine braune Uniform ausziehen, weil wir sie nie anhatten. Es gab ein Schlüsselerlebnis: Wir besuchten den Auftritt einer befreundeten Band in Berlin. Zwischen den Songs haben die Zuschauer nichts anderes gerufen als „Ausländer raus“. Wenn es das bedeutet, ein Skinhead zu sein, hatten wir keinen Bock mehr darauf.



    Frage: Was habt ihr während der zahlreichen Schlägereien gefühlt?

    Kevin: Befriedigung. Da kam der ganze Hass, den ich in meiner Kindheit aufgestaut habe, raus.

    Stephan: Ich denke, dass so etwas mit Komplexen zu tun hat. Man versucht, etwas zu kompensieren, sein Selbstbewusstsein zu steigern, indem man andere erniedrigt. Wer gerade vor dir stand, war dein Feind. Hart sein bedeutet aber nicht unbedingt, ein toller Typ zu sein. Hart sein bedeutet nicht, hart zu anderen, sondern gegen sich selbst zu sein.



    Frage: Habt ihr mit euren Kampagnen gegen rechts das erreicht was ihr wolltet?

    Stephan: Nein, im Prinzip hätten wir uns das sparen können. Die Verbindung, die seitens der Presse zwischen uns und brennenden Asylantenheimen hergestellt wurde, war für uns der reine Horror. Deshalb starteten wir die Aktionen, aber die Medien wollten uns nicht in dieser Ecke sehen. Sie brauchen uns für Schlagzeilen.



    Metal Hammer, 1997

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