Distanzierungen 1994

  • Distanzierungen 1994

    Stephan: Du blöde Futt [= Fotze] da vorne, wenn du weiterhin den rechten Arm hochhebst, fliegst du raus, ist das klar? Ich kann euch hier, an der Stelle, eines versichern: Wenn wir jemanden sehen, der hier ’nen Hitlergruß macht, der kriegt gnadenlos die Halle verwiesen, ist das klar? Das können drei Finger oder ’ne ganze Hand sein, dann gibt’s aufs Maul!


    Ich kann euch so viel sagen und versprechen, dass ’n Onkelz-Konzert keine politische Veranstaltung wird und ist. Das nächste Stück passt ganz gut dazu, weil ich glaube, dass diese Leute einfach nur zu bescheuert sind den Kopf aufzumachen und vielleicht mal in ihr Herz reinzugucken und mal gucken ob da noch irgendwas da ist: „Entfache dieses Feuer„!

    Unbekanntes Konzert, 1994


    Stephan: Lass das Licht an! Hier, passt mal auf, ihr Wichser da vorne: Wenn ich da noch eine Hand zum „Sieg Heil“ hochgehen sehe, gibt’s persönlich aufs Maul, ist das klar?


    Kevin: Ey, ihr Glatzen!


    Stephan: Wir sehen euch von hier oben alle sehr gut, Leute. Seid vorsichtig, ich warn‘ euch, gerade euch, okay? Easy! Ich sag euch eins: Ein Onkelz-Konzert ist kein Podium für Rechtsradikale, okay? Verpisst euch! Haben wir uns verstanden? Und die Sau mit der schwarzen Bomberjacke ist der Nächste der fliegt!


    Stephan: Okay, das nächste Lied widmen wir all den Leuten, die blinde Parolen brauchen, und allen hirnlosen Mitläufern und allen Faschisten da draußen! „Nenn mich wie du willst„!



    Stephan: Nochmal kurz Licht aufs Publikum bitte! Es war eben ganz interessant zu sehen, wer bei dem Lied [„Nenn mich wie du willst“] mitsingt und wer nicht. Für uns ist das kleine Lied immer so ’n Stimmungsbarometer. Ich kann nur all denen sagen, die genauso wie die Presse uns falsch zitieren: Leute, alles, was in eine Richtung geht, und besonders in diese, von meiner Seite aus, soll uns am Arsch lecken und soll am besten nicht mehr zu unseren Konzerten kommen, okay?

    Konzert Minden, 1994


    Stephan: Mach mal ’n bisschen Licht aufs Publikum! Okay, Leute. Wenn ich mir die Artikel durchlese, die wir bisher bekommen haben, von den Zeitungen, die über die vergangenen Konzerte berichten, dann steht da eigentlich, dass ihr ’n Haufen hirnloser Faschisten seid. Okay, und es gibt einen Ort, wo ich mir all diese Wichser hinwünsche, und das ist die Hölle!

    Konzert Bremen, 1994


    Frage: Was ist mit der „Könige für einen Tag„-Mini-LP?


    Stephan: Wir haben gegen diese Veröffentlichung eine einstweilige Verfügung erwirkt, denn die Covergestaltung war eindeutig in die rechte Ecke tendierend, was wir natürlich nicht auf uns sitzen lassen konnten.


    Frage: Die Ärzte haben auf „Schrei nach Liebe“ eine Textzeile verwendet, wo ihr in einem Atemzug mit Störkraft genannt werdet. Dein Kommentar?


    Stephan: Also ich kann nicht gerade sagen, dass ich ein großer Ärzte-Fan bin – was aber nichts mit dieser Äußerung zu tun hat. Was mich daran stört, ist, dass diese Äußerung meiner Meinung nach ziemlich unüberlegt gekommen ist. Ich bin der Meinung, dass man von einer Band, die dermaßen in der Öffentlichkeit steht und ja auch einige Platten verkauft, differenziertere Äußerungen erwarten könnte oder müsste.

    Animalize, 1994



    Stephan: Hier ist kein Platz für irgendwelche Rechtsradikale!

    Konzert Alzenau, 1994



    Stephan: Alles was wir taten, taten wir aus Überzeugung. Jeder Fehler, jeder Treffer ins Schwarze kam aus dem Bauch, aus unserem Herzen, und war nicht lange geplant oder von irgendwem inszeniert. Wir haben mehr als einmal vor unseren Abgründen gestanden und lernen müssen, dass sich im Dreck zu wälzen nicht die beste Art ist, „rein“ zu werden. Aber am Ende war es vielleicht wichtiger und größer, diese Fehler zu begehen und ihre Folgen zu tragen, statt abseits der Welt mit gewaschenen Händen ein sauberes Leben zu führen. […]


    Wenn es kommerziell ist, wenn man erwachsen wird und Texte mit einer Aussage schreibt, anstatt über Saufgelage zu singen und Gewalt zu predigen, dann nehmen wir es gerne auf uns, kommerziell zu sein […].


    Jeder unserer Songs kam aus unserem Herzen, die meisten beruhen auf persönliche Erfahrungen, jeder ist oder war ein Teil unseres Lebens. Unsere Lieder waren immer ein Ventil. Wir konnten durch sie Aggressionen abbauen, Missstände aufzeigen, Gefühle verarbeiten. […]


    Wir haben keine Lust, die Vorzeigerocker der Nation zu werden, wir wollen weiterhin kontrovers sein und Musik machen, die uns berührt, die Reaktionen auslöst, Emotionen weckt, nicht aber blinden Hass schürt, der uns jahrelang begrenzte. Die Zeit hat sich um uns gekümmert, hat unsere Ansichten mehr als einmal geändert und wir behalten uns vor, dass sie dies auch in Zukunft tut.


    Wir kommen immer wieder an Punkte, wo wir von Neuem anfangen, wo wir umdenken müssen und das ist gut so, sonst wäre das Leben beschissen langweilig. Wir verzeihen uns jeden Fehler, solange wir ihn nur einmal machen. Was sind auch schon Fehler, für mich sind es Erfahrungen, die jeder von uns macht, jeder. […]


    Wir sind der lebende Beweis dafür, […] dass man erfolgreich sein kann, ohne ein Fähnchen im Wind zu sein, dass man Mensch sein kann. Menschlich zu sein bedeutet, Fehler zu machen und trotzdem zu sich zu stehen.

    B.O.S.C. Fanzine, 1994


    Stephan: Wenn uns die Leute irgendwie als reinkarnierte Adolf Hitlers hinstellen wegen denen die Welt baden geht, ist das für mich nur geradezu lächerlich. Ich mein‘, wenn man sich anguckt, was wir tun, wer wir sind, wie wir aussehn – ich mein‘: Vor was ham‘ die Leute Angst? Dass wir uns irgendwann die Perücke runterreißen und sagen: „Hier sind wir und jetzt übernehmen wir die Welt“? […]


    Für Versäumnisse irgendwo angeklagt zu werden, die irgendwelche Politiker verschuldet haben oder die einfach nur in unseren menschlichen Köpfen… – da stimmt’s doch nicht drin! Man sollte nicht versuchen, irgendwelche Bands fertigzumachen, die bestimmt alles andere als rechts sind.

    Pressekonferenz, 1994



    Onkelz: Grundsätzlich ist zu sagen, dass man die Skinheads von damals nicht mit den Skins von heute vergleichen sollte. Es gab bei ein paar Leuten die Tendenz, ins rechte Lager abzudriften, aber in der Regel war es eine relativ unpolitische Bewegung. Die meisten Skins kamen damals aus der Punk-Szene, die alles andere als rechts ist. Die heutige Skinhead-Szene dagegen hat eindeutig faschistoide Tendenzen. Mit dieser hatten wir aber nie etwas zu tun. Unser Wandel, wenn man den Begriff überhaupt verwenden will, war ja kein Ding von heute auf morgen, sondern ein Prozess, der schon 1984 vollzogen wurde, also vor ’ner langen Zeit.



    Leider haben es die Öffentlichkeit und die Presse bisher noch nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Viele haben sich regelrecht dagegen gewehrt und weiterhin Lügen verbreitet. Fakt ist natürlich, dass wir damals harte Sachen geschrieben haben. Diese rechtsradikale Wirkung war aber nicht beabsichtigt. Es handelte sich auch um eine andere Zeit und andere Motivationen. Für uns war es Anarchie, das Herausschreien von Gefühlen. Auf jeden Fall verstanden wir uns nicht als politische Band.



    Was wir damals gemacht haben, geschah aus ganz anderen Beweggründen heraus. Unsere Probleme hatten wir auf der Straße. Das waren keine politisch motivierten Dinge wie heute. Brandbomben auf Asylantenwohnheime schmeißen – an solche Verbrechen hatte damals keiner gedacht. Es stimmt zwar, dass wir ein Lied „Türken raus“ geschrieben haben, aber es ist nie veröffentlicht worden.



    Dieses zog dann allerdings ziemlich große Kreise und wurde von vielen Rechtsradikalen als Leitspruch übernommen. Dabei entstand dieses Lied aus Wut, in einer Zeit in der wir noch Punks waren und täglich Auseinandersetzungen mit ausländischen Jugendlichen hatten. Wir möchten jetzt nicht entschuldigen, was wir damals gemacht haben. Es gab eine radikale Tendenz. Aber wir haben dazugelernt. Wir haben begriffen, dass der Weg der Gewalt nicht der richtige sein kann. Wer zu unseren Konzerten kommt, sieht schließlich, welche Leute dort stehen. Da gibt es keine Rechten, und wenn, dann nicht mehr als auf jedem anderen Punk-, Hardrock- oder Metalkonzert.



    Die Textzeile in einem unserer Songs „Zeig mir den Weg„: „Der Prophet in diesen Tagen, wisst ihr, wer das ist? Das Geschwür in meinem Magen nennt sich Journalist“ entstand aus Wut darüber, dass man uns immer noch als Buhmänner in den Medien verkauft und in eine Ecke drängt, in die wir nicht gehören.



    Wir haben Artikel gelesen, in denen es um gewalttätige Ausschreitungen nach einem Böhse Onkelz-Konzert ging, wo angeblich anschließend ein Asylantenwohnheim gestürmt worden ist. Nur war das in einer Stadt, in der wir niemals gespielt haben. Das geht schon ziemlich unter die Gürtellinie.



    Die Öffentlichkeit sollte erkennen, was wir eigentlich tun könnten. Die Presse ist sich wahrscheinlich genauso wenig ihrer Verantwortung bewusst, wie wir uns damals unserer Verantwortung bewusst waren. Aber wir waren 16, 17 Jahre alt, die Artikelschreiber haben einige Jahre mehr auf dem Buckel. Dass die auch keine Verantwortung zeigen, wenn sie bestimmte Leute auf den Plan rufen, wenn sie Aggressionen schüren und Hass, ist schlimm.



    Wir haben keine patriotischen Anwandlungen. Diese Identifizierung mit Deutschland bei vielen Jugendlichen kommt vielleicht daher, dass man zu wenig Ideale und Ziele in sich selbst hat und sich deshalb mit ’nem Land oder etwas anderem identifizieren muss. Wir haben mittlerweile in unserem Leben einen Lernprozess durchlaufen und festgestellt, dass man auf diese Weise kein echtes Selbstbewusstsein erlangt. Menschen, die etwas verändern wollen, sollten bei sich selbst anfangen. Wir haben das getan.

    Berührungsängste gibt es natürlich immer noch, wenn wir zum Beispiel bei bestimmten Veranstaltungen, wie „Rock gegen rechts“, gemeinsam mit anderen auftreten möchten. Wir wollten Ende 1992 beim „Rock gegen rechts“-Festival in Frankfurt mitmachen. Wir hatten das Angebot und haben auch spontan zugesagt. Nur wurden wir letztlich nicht zugelassen, weil einige andere Künstler intervenierten. Hört man die Begründungen, merkt man: Die Leute reden zu viel und vor allen Dingen zu schnell. Sie reden, bevor sie ihr Gehirn aufgemacht und sich richtig mit der Sache auseinandergesetzt haben.



    Wir wollen niemanden bekehren, wir wollen vor allen Dingen nicht schulmeisterlich sein, weil wir denken, dass das genau das falsche pädagogische Mittel ist. Wir versuchen, den Leuten zu zeigen, welchen Wandel wir vollzogen haben. Sie sollen einfach sehen und begreifen. Das sind nämlich Kids, die 15 oder 16 Jahre alt sind und die Parolen rauslallen, ohne wirklich zu wissen, was sie damit sagen. Und wir können natürlich – mit der Macht des persönlichen Beispiels – einen gewissen Kreis an Leuten erreichen, den kein Politiker und kein Sozialarbeiter mehr erreichen kann. Gerade darin liegt unsere Aufgabe, zu zeigen: „Leute, passt mal auf, hier sind wir. Das ist unsere Vergangenheit und wir haben daraus gelernt“. Eine gewisse Vorbildfunktion haben wir mit Sicherheit, und die werden wir auch einzusetzen versuchen, denn die Identifikation unserer Fans mit uns ist sehr stark.



    Mit Parolen wie „Nazis raus“ können wir uns nicht identifizieren. Das ist genau so eine dumme Argumentation, wie sie von Rechten in anderer Form auch zu hören ist. Wenn wir immer nur rufen: „Raus, raus, raus!“, dann haben wir bald niemanden mehr, mit dem wir reden können. Das ist mit Sicherheit nicht das richtige Mittel.

    Wir haben so viele Angebote aus dem Osten, dass wir dort ständig am Touren sein könnten. Aber es ist uns momentan zu heiß. Wir haben von anderen Bands gehört, was da zum Teil abgeht. Gleich nach der Grenzöffnung hatten wir uns gesagt: „Nein, wir tun’s nicht, solange die Situation sich für uns so darstellt“.

    Uns wird oft der Vorwurf gemacht, wir wären geistige Wegbereiter für rechtsradikale Gruppen. Wir glauben, dass man es sich ziemlich einfach macht mit dieser Pauschalisierung. Wegbereiter für Rechte und ihre Musik ist allein unsere Gesellschaft. Eine Band für soziale Missstände verantwortlich zu machen, ist geradezu lächerlich. Dieses Thema Rechtsrock wird zur Zeit ja ziemlich hochgespielt, aber die Absatzzahlen dieser Platten sind sehr niedrig. Das ist szenespezifische Musik, die nur ein kleiner, radikaler Teil an Leuten hört. Mit dieser Musik haben wir nicht das Geringste am Hut.Dafür übernehmen wir keine Verantwortung.

    Wir halten den Wandel, den wir durchgemacht haben, für äußerst positiv.



    Das ist auch der Grund, warum wir nicht unseren Namen ändern. Wir wären keine anderen Menschen und hätten keine andere Ideologie, wenn wir den Namen wechseln würden, nur weil Böhse Onkelz in der Öffentlichkeit zur Zeit noch für eine rechtsradikale Band steht. In Zukunft wird der Name stehen für positiven Wandel und dafür, dass so ein Wandel möglich ist. Daran arbeiten wir. Wir möchten zwar kein Onkelz-Konzert zu einer politischen Veranstaltung machen, aber es sollen kleine Zeichen gesetzt werden. Ansonsten soll die Musik im Vordergrund stehen. Und die Musik ist nunmal für Minderheiten aus allen Schichten, ob die nun lange oder kurze Haare haben, ob das Ausländer sind oder Deutsche. Das ist egal, solange die Leute mit der Musik was anfangen können und sie vor allen Dingen richtig verstehen.



    Krüger / Schulz, „Küssen verboten“, 1994



    Stephan: Wir haben gleich nach der Maueröffnung beschlossen, erstmal nicht im Osten aufzutreten, obwohl wir viele Angebote bekamen. Aber wir wollten unseren Standpunkt gegen rechts deutlich machen. Einige potentielle Veranstalter dort haben uns jedoch keine Chance gegeben, unseren Einfluss auf die Fans positiv auszunutzen. Das halten wir aber für unsere Pflicht, um – ohne schulmeisterlich zu sein – auch Leute zu erreichen, die vielleicht gar nicht mal rechts denken, sondern einfach aus Provokation irgendwas in der Art anstellen. Und denen wollen wir zeigen: „Jungs, das ist es nicht“!



    Unbekannte Quelle, 1994



    Stichwort: „Türken raus“ und „Deutschland den Deutschen“

    Stephan: Ja, sicher. Wir haben Fehler mit einigen Songs gemacht, die von einer völlig anderen Form des Denkens kamen. Ich hab mich nie als Faschist gefühlt. Ich weiß, dass ich Dinge getan habe, die man, wenn man sie von der heutigen Position, vom heutigen Zeitpunkt und von der Situation hier in Deutschland oder in ganz Europa aus sieht, so nennen kann. Aber als ich 16 oder 17 war, als ich dieses Lied geschrieben habe, war das eine völlig andere Sache. Ich mein‘, wir wuchsen auf den Straßen auf und hatten Auseinandersetzungen mit Ausländern. Aber das waren völlig andere Sachen, da kam Hass auf und den hat man einfach rausgeschrien, einfach rausgebrüllt.

    Gonzo: Wenn du 17 Jahre alt bist, denkst du nicht darüber nach, was mit deinen Songs in 15 Jahren passiert. Du konntest wirklich nicht erkennen, dass da mit deiner Einstellung was falsch war, es war eben einfach Anti, Anti, Anti, Anti-Alles.

    Stephan: Man war blind.

    Gonzo: Ja!



    Stichwort: B.O.S.C.

    Stephan: Wir haben von vielen Leuten gehört, dass es einige faschistischen Gruppen gibt, die sagen, dass sie Böhse Onkelz-Fanclubs seien. Und um denen keine Macht zu gewähren haben wir beschlossen: „Okay, wir machen einen, nur einen einzigen, offiziellen Fanclub“. Und das ist der Böhse Onkelz Supporters Club.



    Stichwort: „Deutschland im Herbst“

    Stephan: Der Herbst war ziemlich schlimm hier in Deutschland. Und du liest die Zeitungen und du liest irgendwas was passierte, und ständig liest du deinen Namen bei all den Sachen. Du liest, dass Leute, die zu diesen Übergriffen gegangen sind, deine T-Shirts getragen haben. Es wird nicht gesagt, dass sie auch Motörhead-T-Shirts oder Slayer-T-Shirts oder sonstwas getragen haben, sondern man redet nur über uns. Also wollen wir, dass unsere Fans genau wissen, was wir über diese ganzen Sachen denken.



    Stichwort: Hass

    Stephan: Hass ist, was ich gefühlt habe als ich ziemlich jung war, da fühlte ich Hass. Aber jetzt hasse ich nicht mehr, weil ich denke, dass es nicht gut ist zu hassen. Ich versuche, zu verstehen. Und alles was ich erwarte ist, dass auch die Medien versuchen, mich zu verstehen.



    Frage: Meiner Meinung nach ist die wichtigste Message für ’94…


    Stephan: Sein eigener Jesus zu sein!


    Gonzo: Faschismus zu stoppen, in Europa, überall. Und ihn zu bekämpfen wo immer das möglich ist. Das ist meine persönliche wichtigste Botschaft an die Leute.

    Stephan: Ja, aber ich denk, bevor man zu dem Punkt kommt, muss man erst mal losgehen und versuchen, seine eigene Persönlichkeit zu sein, sein eigener Jesus, sein eigener Gott.



    MTV, „News“, 1994



    Stephan: Vor allem die ewigen Unterstellungen, ein Neonazi zu sein, zehrten und zehren an meinen Nerven und ließen mich selbst schon manchmal glauben, das alles sei wahr. Ich denke, es hat keinen Sinn, wenn ich beginne, irgendwelche Anekdoten zu erzählen, die Rückschlüsse zulassen, wir seien rechtsradikal gewesen. Die hat es sicher gegeben, aber für viel wichtiger halte ich es, von dem Gefühl zu reden das wir früher in uns trugen.



    Ich spreche im Namen der Band, wenn ich sage, dass es Zeiten gab, in denen wir, ohne etwas beschönigen zu können, eine ausländerfeindliche Einstellung hatten. Auch auf sogenannte Rote und ihre Sympathisanten hatte keiner von uns Bock. Wir lieferten uns mehr als einmal regelrechte Straßenschlachten mit ihnen, obwohl wir ja ursprünglich selbst aus der Punkbewegung kamen und zu dieser Zeit alles andere als rechts waren. Ich könnte jetzt beginnen, euch davon zu erzählen, wie und unter welchen Umständen wir aufgewachsen sind.



    Ich könnte mich in irgendwelchem sozialpädagogischen Geschwätz verlieren und nach Ursachen für unser Verhalten forschen. Ich könnte euch von missratener Kindheit, Frankfurter Ghettos, Alkohol und Drogenproblemen erzählen, und, und, und. Aber ich schreibe dies nicht, um nach Entschuldigungen zu suchen. Was war, war und ist nicht mehr rückgängig zu machen. Ich schreibe dies, damit ihr nicht den gleichen Scheiß baut wie wir. Auch wenn einem das Wasser bis zum Hals steht und man meint, einen Schuldigen zu brauchen, gibt es andere Möglichkeiten mit seinen Problemen umzugehen, als Fremdenfeindlichkeit.



    Das Beste ist es, etwas gegen seinen eigenen Mist zu machen. Hass begrenzt, und mein jetziges Erlebnis ist grenzenlos. Hass ist verschwendete Zeit. Es gibt wirklich Wichtigeres. Reden wir weiter von Gefühlen. Reden wir von Unwissen und Dummheit. Reden wir von Ignoranz und Intoleranz. Reden wir von Rechtsradikalismus.



    Wie rechts waren die Onkelz wirklich? Fakt ist: Wir waren niemals Angehörige oder Sympathisanten einer rechten Partei oder Organisation. Wir hatten und haben eine Aversion gegen Obrigkeitsdenken und blinde Parolen. Wir haben niemals in unseren Konzerten rechtes Gedankengut propagiert, auch wenn ich einräumen muss, dass das einen Teil der Zuhörer nicht davon abgehalten hat, ausländerfeindliche Parolen von sich zu geben. Wir sind weder „Sieg Heil“-schreiend durch die Gegend gezogen, noch haben wir uns mit nationalsozialistischen Emblemen geschmückt. Auch wurden nach unseren Konzerten keine Asylantenwohnheime angesteckt, wie schon mehrmals fälschlicherweise in der Presse berichtet wurde, da wir in diesen Städten niemals gespielt haben. Was bleibt, ist die Tatsache, dass wir zwei fremdenfeindliche Lieder für ein Demotape aufgenommen haben, auf die wir heute alles andere als stolz sind.



    Es stimmt auch, dass wir Skins waren, mit Haut und (ohne) Haar. Wahr ist mit Sicherheit auch, dass wir eine Tendenz hatten ins rechte Lager abzudriften, wir uns aber über die verheerenden Folgen früh genug bewusst geworden sind. Ich würde sagen unbewusst-bewusst geworden sind, da wir in dieser Zeit mehr aus dem Bauch gelebt haben, als dass wir unser Hirn oder Herz befragt hätten.



    Vorwerfen lasse ich mir, oft verantwortungslos gehandelt zu haben. Das alles ist zwölf Jahre her. Mann, wir haben das rausgeschrieen, was uns berührte, ohne groß nachzudenken. Keiner war sich der Folge bewusst. Fragt euch mal selbst, wie viel Scheiße ihr in eurem Leben von euch gelassen habt, und ihr wisst, was ich meine. Wichtig ist, dass ich weiß, wie ich drauf war, und noch wichtiger ist, wie ich drauf bin: Wir haben uns geändert, und dieses Recht sollte man, verdammt noch mal, jedem zubilligen. Um es hier einmal ganz deutlich zu sagen: Wir und auch sonst niemand in unserem Umfeld hängt rechtem Gedankengut nach oder hat irgendwelche Sympathien für solchen Mist.



    Niemand von uns toleriert Fremdenhass und Ausländerfeindlichkeit. Wenn wir mit unseren Möglichkeiten etwas gegen braunen Hass und blinde Spießerwut tun können, dann tun wir es. Nur tun wir es nicht, weil wir’s unserer Geschichte schuldig sind – sondern aus Überzeugung.

    B.O.S.C. Fanzine, 1994



    Frage: Wie setzt sich euer Publikum heutzutage zusammen?

    Gonzo: Es scheint komischerweise immer jünger zu werden. Auf keinen Fall – das haben die letzten Touren gezeigt – tauchen noch erkennbar Rechtsradikale auf. Diese Leute haben inzwischen geschnallt, dass wir nichts mit ihnen zu tun haben. Abgesehen davon geht unser Ordnungsdienst kompromisslos gegen Rechte vor.

    Göttinger Tageblatt, 1994



    Pe: [Punk war] eine Rebellion gegen die Moral. Man machte Lieder über das was man liebte und über das was man nicht leiden konnte. Manchmal schoss man dann auch unüberlegt über das Ziel hinaus, was einem dann auch übel heimgezahlt wurde und zum Teil noch wird. […]


    Da sich Anfang 1982 die Punk-Szene langsam links politisierte, suchte man wieder ungebremsten Untergrund und stieß auf das Skinheadtum. Da sich langsam auch die Skinhead-Szene politisierte, packte man die Koffer. Die Haare wuchsen und die Skintexte verschwanden endgültig. […]


    In Berlin gab es ein Konzert in der Neuen Welt. Autonome, die nicht gerafft hatten, dass die Onkelz mit den mittlerweile rechtsverschrienen Skinheads seit Jahren nichts mehr am Hut hatten, störten die Konzertvorbereitungen erheblich und schlugen auf kleine, unschuldige Onkelz-Fans ein. Eine traurige Sache! Maßen sie sich doch das Monopol von Gehirn und Toleranz an. […]


    Es folgte erstmalig eine Tour. Restlos ausverkaufte Hallen sollten die Belohnung für die Onkelz sein. Doch viel negativer Schatten (der Ruf aus der Skinhead-Vergangenheit) sollte einen Ausbau der Tour im Dezember ’92 verhindern. Rechtsradikale hatten Brandanschläge mit Todesopfern gefordert. Eine unglückliche Verbindung. Man suchte Schuldige und man fand sie. Es gab Talk-Shows und Interviews.


    Die Onkelz nahmen Stellung, denn das war zu viel. Hatte man jahrelang auf die Scheiße der Medien einen Furz gelassen, konnte man jetzt nicht mehr mit Gleichgültigkeit über diese Vorfälle reagieren. Es gab Konzerte mit dem Motto „Rock gegen rechts“. Die Onkelz kommunizierten mit Kulturministern und Ausländerbeauftragen, um gegen diesen Missstand anzutreten.


    B.O.S.C. Fanzine, 1994

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