Dinstanzierungen 1992

  • 1992

    Onkelz: Wir hatten wilde Herzen und dachten aus dem Bauch / Unser Lehrer war das Leben / Die Straße das Zuhaus / Wir lebten nie mit Kompromissen / Es gab ’nen langen Weg zu gehn / Den Weg der Wahrheit / Nicht jeder kann ihn sehn / […] / Wer hat nicht schon von uns gehört / Ob er wollte oder nicht / Den Namen, der so viele stört / Doch alle Herzen bricht / Die Band, der Mythos, die Legende / Was immer man erzählt / Der Gestank der Vergangenheit liegt mit auf unserm Weg


    Song „Ein langer Weg„, 1992


    Onkelz: Wasser des Lebens / Trage mich / Führ mich aus dem Dunkel / Aus dem Dunkel ins Licht

    Song „Der Schrei nach Freiheit„, 1992


    Onkelz: Mein verschissnes kleines Leben haben andere in der Hand / Ich brauche keine Freiheit / Kein Herz und kein Verstand / Ich brauch die Zwänge unsres Lebens / Die Fesseln meiner Seele / Ich brauch die die für mich denken / Ich brauche Regeln und Befehle / […] / Ich habe zwei Gesichter / Ich bin nicht doof, doch auch nicht schlau / Ich gehe Sonntags in die Kirche / Montags schlag ich meine Frau / Ich bade mich in Dummheit / Bin ein übler Denunziant / Ich kreuzige mich selbst / Und ich bin stolz auf unser Land

    Song „Nenn mich wie du willst„, 1992


    Onkelz: Mein Name ist Zweifel, ist Gier, ist die Lüge / Ich bin auch in dir / Sieh, wie ich mich vergnüge / […] / Dein Wille zur Macht, zum Hass, zur Gewalt / Belebt meine Seele, gibt meinem Körper Gestalt

    Song „Wir schreiben Geschichte„, 1992


    Stichwort: Rechte Fans


    Stephan: Damit wollen wir nichts mehr zu tun haben. Rechtsradikale fliegen bei unseren Konzerten raus.

    Unbekannte Quelle, 1992


    Frage: Jetzt erzählen Sie mal, „Türken raus“, warum die raus sollten.


    Stephan: Dieses Lied ist einfach ein Lied was ziemlich wenig Sinn hatte, es war einfach diese dumpfe Parole: „Türken raus, Türken raus“, um mehr ging’s in diesem Lied nicht. Zu dem Zeitpunkt war es einfach ’ne Wut herausgebrüllt, ohne jetzt aber ’ne Politik machen zu wollen


    Frage: Aber warum waren Sie wütend auf Türken?


    Stephan: Wenn Sie 20- oder 30-mal von irgendwelchen Türken aufs Maul gekriegt haben, dann sind Sie auch langsam wütend.


    Frage: Warum haben ausgerechnet Sie aufs Maul gekriegt?


    Stephan: Dieses Lied „Türken raus“ ist noch entstanden als wir Punks waren. Wir ham‘ natürlich durch unser Aussehen sehr provozierend gewirkt, auf gewisse Leute. Das war damals so diese Zeit, Popper, Punks und was da halt alles irgendwie so abging, Kinderkacke eigentlich. Jedenfalls war dieses Lied einfach halt ein Wutschrei.


    Frage: Sie würden im Rückblick sagen: „Das war eine sehr enge Welt“?


    Stephan: Das war eine sehr aggressive Zeit und ich bin froh, dass ich diese ganzen Sachen irgendwo hinter mir hab. Ich muss einfach zu diesen ganzen Vorwürfen, die auch der Band entgegengebracht werden, einfach mal an die Leute appellieren, uns vielleicht nicht immer als diese reinkarnierten Adolf Hitlers hinzustellen, die wir nicht sind, sondern vielleicht uns als Medium oder als Objekt benutzen, einfach den Leuten zu zeigen: Es geht auch anders. Das heißt, man kann diese Gedanken gehabt haben, man kann so und so gedacht haben und man kann sich aber weiterentwickeln und sich ändern und man kann dieses auch seinen Fans oder den Leuten mitteilen.


    Frage: Bands wie Störkraft sind der nackte Faschismus. Ich bin erstaunt, dass Sie in einen Topf geworfen werden. Wie erklären Sie sich das?


    Stephan: Das ist ein ganz großes Problem, das wir haben. Diese Bands verkörpern für mich genau das, was Sie gesagt haben. Ich kenn diese Bands normalerweise nicht. Sie haben mir vorhin einen dieser Texte gezeigt, und im Gegensatz zu unserem damaligen Lied „Türken raus“, was ziemlich wenig Sinn oder ziemlich wenig Aussage hatte, bis auf diesen Satz halt eben, ist da doch richtiges faschistisches Gedankengut drin, diese ganzen Parolen, die man irgendwo bei diesen Parteien und so weiter wiederfindet, die sind in diesen Texten irgendwo verarbeitet. Und ich glaube, dass unsere Band ’ne ganz andere Aussage hat, also, dass mich das unheimlich ärgert, wenn ich mit solchen Bands in einem Atemzug genannt werde.


    Frage: Und was tun Sie, um klar zu machen, dass Sie da nicht dazugehören? Sie haben ja auch viele Fans, die vielleicht Gefahr laufen, da was mitzugröhlen.


    Stephan: Richtig, und ich glaube halt, das ist genau der Punkt, an dem wir ansetzen müssen. Uns wird natürlich von Außen das Leben unheimlich schwer gemacht, sobald wir versuchen, in diese Richtung irgendetwas zu tun. Zum Beispiel: Das Angebot ist an uns herangetragen worden, bei „Rock gegen rechts“ zu spielen. Das wollten wir gerne tun, daraufhin haben andere Künstler […] eben gesagt, sie würden nicht mit uns auf eine Bühne gehen.


    Frage: Wenn Sie wirklich entschlossen sind, gegen den Mist, den Sie früher gebaut haben, richtig anzuarbeiten, dann könnte ich mir vorstellen, dass Sie auch bei Leuten herzlich willkommen sind, die gegen Ausländerhass und Fremdenfeindlichkeit sind.


    Stephan: Wie gesagt, wir rennen keine offenen Türen ein. Wir versuchen ’n paar Dinge zu tun, das ist ’ne mühselige Arbeit. Es ist einfacher für einen Großteil der Presse einfach in die gleiche Kerbe reinzuschlagen, als sich wirklich mit der Sache auseinanderzusetzen. Und für mich ist es weiß Gott schon ’n ziemlich großes Problem geworden, mich für irgendwas zu rechtfertigen, was ich nicht bin oder was ich nicht fühle.

    Der Unterschied zu dem was wir damals gemacht haben und dem was heute passiert: Damals war das ’n Straßengefühl, das war ’ne Auseinandersetzung zwischen Kids auf der Straße, und das andere ist schlichtweg Politik, ganz einfach, da wird wirklich Propaganda betrieben, da wird Rassenhass betrieben, also Rassenhass auf ’ne Art, wo’s auch um Blutreinheit [geht], oder sonst irgendwie diese ganzen dummen Phrasen, sowas hatten wir nie gehabt, und von daher gesehen wehre ich mich vehement dagegen, mit solchen Bands in einen Topf geschmissen zu werden.


    Hessischer Rundfunk, „Zeil um zehn“, 1992


    Stichwort: Provokation mit Nazi-Symbolik in der internationalen Rockmusik


    Stephan: Ich denke, dass wir einfach ’n paar Dinge ’n bisschen zu ernst nehmen. Ich glaub also genauso wenig wie du, dass Lemmy [von Motörhead] oder Tom Araya [von Slayer] Nazis sind. Ich denk einfach, dass die auch ’n bisschen unbedacht mit dieser ganzen Sache abgehen. Also ich hab mich zum Beispiel nie mit Emblemen geschmückt und hab auch nicht vor, mich irgendwann mal mit irgendwelchen Nazi-Emblemen oder mit Dingen aus dem Dritten Reich zu behängen, oder zu provozieren, was ich denke, was es ja eigentlich ist, es ist mehr ’ne Provokation. […] Wir als Deutsche müssen da weiß Gott mehr aufpassen als ’n Amerikaner oder ’n Engländer.


    Frage: Warum behaupten die Medien, dass ihr Faschisten seid?


    Stephan: Anfang der Achtziger Jahre sind wir Skins gewesen. Skinheads haben bekanntlicherweise den Ruf, sehr politisch zu sein, was sie meiner Meinung nach am Anfang, also die erste Generation Skinheads, noch nicht waren. Aber wir haben zu dieser Zeit, also vor ziemlich genau elf Jahren, einen Song gehabt, der eindeutig ausländerfeindlich gewesen ist, der zwar nie veröffentlicht wurde, der nur live interpretiert wurde, aber der uns halt bis heute noch nachgetragen wird. Und diese Zeit vor elf Jahren wird durch die Problematik, die heute entstanden ist, in die heutige Zeit reflektiert, und das heißt, ich muss mich heute für etwas rechtfertigen was elf Jahre zurückliegt und was längst nichts mehr mit dem zu tun hat, was ich heute denke.


    Frage: Bist du ein Rassist?


    Stephan: Nee, ich bin mit Sicherheit kein Rassist. Dieses Lied, das wir damals geschrieben haben, war eine Reflexion dessen, was ich auf der Straße erlebt habe. Das war der Straßenkampf, den wir damals hatten, mit ausländischen Jugendgangs. Das war niemals ein Lied, in dem ich mich politisch äußern wollte. Ich habe niemals irgendeine Rassenreinheit oder sonstetwas propagiert, sondern das war einfach nur eine Wut, eine Reflexion dessen, was eben mir widerfahren ist. Mir macht es natürlich keinen Spaß, ständig in Zusammenhang mit Bands wie Störkraft oder Endstufe, die für mich eindeutig faschistische Tendenzen haben, genannt zu werden. Mir macht es auch keinen Spaß, ständig in Zusammenhang mit Rostock und Mölln genannt zu werden. Das ist für mich natürlich ein Problem, das heißt, ich bin nicht das, wie mich die Presse hinstellt, oder die Band ist nicht das, wie uns die Presse hinstellt. Und das ist für uns weiß Gott kein schönes Gefühl.

    Wir werden momentan so ’n bisschen zum Sündenbock gemacht, für Versäumnisse, die meiner Meinung nach Politiker versäumt haben, oder für die Versäumnisse, die in uns Menschen sind, weil ich glaube, dass wir Menschen einfach zu wenig Achtung vor den anderen haben und dass das ein Grund unserer Problematik ist.


    Frage: Wie stehst du zu den Vorfällen in Mölln und in Rostock?


    Stephan: Für mich ist das natürlich alles ziemlich schlimm, zumal ich natürlich auch im Fernsehen Leute gesehen habe, die dort anwesend waren, die unter anderem auch unsere T-Shirts getragen haben. Und das ist natürlich eine Sache, die mich sehr belastet und ich kann einfach nur mit Abscheu auf das reagieren, was da passiert. Und ich weiß nicht, was in den Köpfen solcher Leute vorgeht, ich glaub nicht mal viel, ich glaub die sind einfach dumm, das ist einfach Dummheit, die wissen nicht, was sie tun. Also, ich wär‘ bereit, auf jeden Fall gegen Faschismus zu kämpfen. Ich mein‘, guck wie ich ausseh, ich hab lange Haare, ich hab ’n Nasenring, ich bin tätowiert von oben bis unten – ich wär‘ der erste, der weg wär‘. So wie ich denke, das Freiheitsgefühl was ich hab, widerspricht dem, was eine faschistische Ideologie propagiert.


    Stichwort: Ursprüngliche Skinhead-Szene


    Stephan: Anfang der Achtziger Jahre war diese ganze Skinheadbewegung noch sehr, sehr unpolitisch. […] Wir, die erste Generation Skinheads, wir haben noch schwarze Musik gehört, wir ham‘ noch Ska gehört, Reggae, Soul, und die Musik hat sich dann erst im Laufe der Achtziger Jahre gewandelt.


    arte, „Megamix“, 1992


    Gonzo: Dass Fremdenhass gestoppt werden muss, ist wohl allen klar, die noch einen vernünftigen Gedanken im Kopf haben!


    Action Club, 1992


    Frage: Was hältst du von Leuten, die brüllen „Türken raus“ und „Deutschland den Deutschen“?


    Stephan: Die kotzen mich an. Ich sympathisiere nicht mit irgendwelchem Nazi-Pack – und da spreche ich für die ganze Band. Aber darüber schreibt natürlich kaum jemand was oder will auch niemand schreiben, weil es eben auch einfacher ist, in ’ne Kerbe zu hauen oder ein Klischee-Bild weiterzutragen als zu versuchen, sich mit was auseinanderzusetzen. […] Und anstatt uns vielleicht als Instrument einzusetzen, um Leute, die vielleicht noch politisch fehlgeleitet sind oder in diese Richtung gehen, anstatt uns als Instrument zu benutzen, auf diese Leute einzuwirken oder denen ein Vorbild zu sein, dass es eben auch anders geht. […] Ich komm mir natürlich im Augenblick bescheuert vor, erstens wiederhole ich mich seit Jahren, das was ich auch heute sage, das hab ich mir nicht irgendwo aus den Fingern gesaugt, sondern das is‘ ’ne Sache, die mir schon ziemlich lästig ist, weil ich mich seit Jahren für was rechtfertige wo ich mich nicht zugehörig fühle.


    Frage: Was machst du mit Leuten, die auf euren Konzerten „Deutschland den Deutschen“ rufen?


    Stephan: Wir haben ja gerade eine Tour gespielt und wussten vorher auch nicht genau, wie es aussieht. Wir mussten mit dem Schlimmsten rechnen, haben aber gemerkt, dass die Befürchtung von einer Halle voller Skinheads sich nicht bestätigt. Die Band hat auch von vornherein gesagt: „Wenn wir das Gefühl haben, wir spielen vor ’nem Haufen Rechtsradikaler, würden wir nicht auftreten“.

    So weit sind wir uns unserer Verantwortung schon bewusst – da hatten wir absolut keinen Bock drauf. […] Sollten wir Leute am Eingang als Nazis erkennen, zum Beispiel durch Embleme und so weiter, kommen diese nicht in die Halle rein. Wenn sie erst während des Konzertes in Erscheinung treten – und da wir ’ne Band sind, die einen ziemlichen Bezug zu ihrem Publikum hat und es beobachtet – würden wir diese bemerken. Es dauert keine fünf Minuten, dann sind diese Leute aus der Halle – und das unter dem Beifall von 99 Prozent des Publikums. Ansonsten kann ich nicht mehr tun, als mich von Leuten wie denen aus Rostock oder anderswo zu distanzieren. Wir haben auch versucht, bei „Rock gegen rechts“ zu spielen. Daraufhin haben alle anderen Künstler mit ihrer Absage gedroht. Wir sind am überlegen, wo wir hingehen oder helfen können, dazu müsste jedoch auch die andere Seite gesprächsbereit sein. Von den Liedern „Türken raus“ und „Deutschland den Deutschen“ distanziere ich mich nochmals in aller Deutlichkeit.


    Frage: Bei vielen eurer Fans konnte man den Eindruck gewinnen, dass das der gemäßigte rechte Flügel ist. Wie stehst du zu den jugendlichen Republikaner-Anhängern?


    Stephan: Es gibt bestimmt Fans, zu denen ich nicht stehe, ganz klar. Ich weiß aber, dass der Großteil der Fans in Ordnung ist – in jeglicher Form.


    Frage: Was ist für dich an politischer Gesinnung noch in Ordnung?


    Stephan: Für mich ist jedes Extrem, sei es linker oder rechter Art, nicht zu rechtfertigen.


    Frage: Wie würdest du dich selbst politisch einordnen?


    Stephan: Ich würde mich ungefähr halb-links hinstellen, aber niemals mehr zu irgendeinem Extrem neigen.


    Frage: Hast du schon mal miterlebt, wie Ausländer von Faschisten zusammengeschlagen wurden?


    Stephan: Ich war eineinhalb Jahre mit einer Iranerin zusammen und habe gemerkt, wie zwei Skins aus dem Publikum meine Freundin verprügeln wollten. Ich hab auch genug ausländische Freunde um zu wissen, was da zum Teil passiert.


    Frage: Wie erklärst du dir trotz eurer Distanz zu den Rechten den enormen Zulauf aus dieser Richtung?


    Stephan: Fakt ist doch, dass wir in Deutschland 4.500 Skins und circa 40.000 registrierte Rechtsradikale haben. Wir verkaufen aber fast eine halbe Million Schallplatten. Also denke ich, dass der Ansatz da wohl falsch ist. Wir stehen auch irgendwie zwischen den Fronten: Für die Rechten sind wir Verräter, für die Linken sind wir Faschos.


    Frage: Ein anderer Grund, dass ihr den Ruf einer Fascho-Band habt, ist die ehemalige Labelzugehörigkeit zu Rock-o-Rama.


    Stephan: Zu Anfang war dies bei Rock-o-Rama nicht so. Dass es richtig radikal wurde, kam erst kurz bevor wir von dem Label weggegangen sind.

    Frage: Habt ihr euch deshalb von Rock-o-Rama getrennt?


    Stephan: Einer der Gründe war das – ja.


    Frage: Was war für euch der Auslöser, einen Schlussstrich zum rechten Spektrum zu ziehen?


    Stephan: Du merkst irgendwie gar nicht, in was du da reingerätst – das läuft alles nahtloser ab, als du dir vielleicht vorstellen kannst. Es ist nicht: „Hier fängt was an und hier hört was auf“, sondern du fließt einfach in irgendwas rein und merkst auch gar nicht deine eigene Veränderung – zumindest nicht in dem Alter. Ich will nichts beschönigen: Ich hab damals diese ganze Skin-Geschichte mit hundertprozentigem Herzen mitgemacht. Nur: Ich will einfach, dass es anerkannt wird, dass das ein Teil von meinem Leben war und dass ich noch relativ jung war. Ich ärgere mich auch oft über gewisse Dinge, die ich getan hab – oder mir selbst angetan hab: Zum Beispiel Leute aufgrund ihres Äußeren einfach in ’ne Ecke gestellt und gesagt: „Mit dir will ich nix zu tun haben“.


    Frage: Habt ihr inzwischen Texte gemacht, die man ins linke Spektrum einordnen kann?


    Stephan: Wenn du zum Beispiel so einen Text nimmst wie „Nenn mich wie du willst“ – ich glaube, das ist ein ziemlich eindeutiges Lied gegen diese dummen Mitläufer, allgemein gesagt natürlich. Ich denke schon, dass da Ansätze zu finden sind. Ich habe allerdings nicht die Ambitionen, jetzt Lieder für die breite Masse zu schreiben. Ich will immer noch provozieren und Reaktionen hervorrufen, egal welcher Art. Ich hab keine Lust, der nette, angepasste Junge von nebenan zu sein, der auf einer Stufe steht mit Peter Maffay oder irgendwelchen angepassten Links-Rockern wie Udo Lindenberg.


    Frage: Warum spielt ihr nicht im Osten?


    Stephan: Das liegt auf der Hand: Aufgrund des dortigen Rechtspotentials. Angebote gab es genug.


    Frage: Was hast du denn gemacht, den Haufen vor deiner Tür wegzukehren, außer softeren Songs und Ändern des Outfits?


    Stephan: Was wir zum Beispiel seit Jahren auf Konzerten tun ist, dass wir Flyers verteilen, in denen wir uns ganz klar äußern, dass wir keine Nazis sind und auch keine Parolen dulden – dass wir einfach nicht so sind, wie uns die Öffentlichkeit sieht oder darstellt.


    Pressekonferenz, 1992


    Stichwort: Diffamierung der Onkelz


    Stephan: Ich komm mir langsam schon wirklich vor wie ein reinkarnierter Adolf Hitler. […] „Wir schreiben Geschichte“ ist absolut ironisch darauf gemünzt, dass wir Menschen unsere Welt kaputtmachen und enthält nichts anderes als die Aussage, dass wir für die Fehler zahlen, die wir gemacht haben. […] Das hat nichts mit Blut-und-Boden-Scheiße zu tun. Ich war ein Skinhead und nicht mehr und nicht weniger. Und ich hab mich niemals zu einer Partei bekannt.

    Die Onkelz haben nie für eine Organisation dieser Art gespielt, wir haben uns sogar relativ früh von solchen Umtrieben distanziert. […] Klar suchen wir das Gespräch mit Daniel Cohn-Bendit, weil wir jemanden brauchen, der willens ist, sich mit uns auseinanderzusetzen auf eine Art und Weise, auf die wir beide voneinander profitieren können. Aber ich mach das nicht aus kommerziellen Gründen, sondern aus ethischen. Weil ich das persönlich möchte. Wir haben unseren Interview-Boykott gebrochen, weil wir gesagt haben, wir können zu den Vorfällen, die momentan stattfinden, nicht schweigen.


    Stichwort: „Türken raus“


    Stephan: Das Lied „Türken raus“ gibt es nicht offiziell, es ist nur für ein Demotape aufgenommen worden. Die Kassette ist einfach 100.000fach kopiert worden. […] Wir waren Punker, uns wurde kräftig auf Mett gegeben und aus Verärgerung raus habe ich das Lied geschrieben. Das ging halt auch so weit, dass wir handfeste Schlägereien hatten, damals waren das so Punk-Popper-Geschichten, es gab ständig heftige Reibereien auch mit Türken, und das war eine Reflexion davon. […] Ich könnte mir’s ja auch einfach machen und sagen: „Okay, ist mir doch alles scheißegal, ich verkauf ja sowieso meine Platten“. Das ist mir eben nicht egal. Leute, die sowas sagen wie: „Kreide gefressen“, wissen nichts von mir und sollten besser das Maul halten.


    Stichwort: Schwarz-rot-goldenes Cover des „Heilige Lieder„-Albums


    Stephan: Rio Reiser hat sein „Wenn ich König von Deutschland wär'“ gesungen. Wenn man übel will, ist das voll das rechte Lied. Wenn wir das gebracht hätten, würden sie alle mit „Sieg Heil“ vor mir stehen. Hier wird mit zweierlei Maß gemessen. […] Wir verteilen seit Jahren Flugblätter vor Konzerten, auf denen wir ganz klar Stellung beziehen, dass wir keine Nazis sind, dass wir keine Parolen dulden und dass Besucher, die sich nicht dran halten, rausfliegen.

    Wir lassen Leute, die sich eindeutig als Rechtsradikale zu erkennen geben, gar nicht erst in die Halle. […] Ich war lange Zeit mit einer Iranerin zusammen und die Onkelz bekommen auch von Türken und Jugoslawen Fanpost. Von daher gesehen hab ich’s einfach satt, mir ans Bein pinkeln zu lassen.


    Stichwort: Rechtsrock


    Stephan: Dazu will ich mich nur so weit äußern, was ich so gehört und gesehen habe – das ist nicht viel. Ich habe von Alice Schwarzer ein Textblatt bekommen. Die Strophen waren dermaßen rassistisch und voller Hass, auch dumm dazu, und ich hab gemerkt, dass die ganze Ideologie dahintersteckt, die eindeutig nationalsozialistisch ist, eben genau das, was Hitler und Goebbels propagiert haben. Richtig geschockt war ich von Videos, auf denen die Skins minutenlang „Sieg Heil“ und „Ausländer raus“ gebrüllt haben. Mir geht’s auf die Eier, mit so einer Band in einem Atemzug genannt zu werden. […] Diese Bands werden eigentlich viel zu sehr aufgewertet, die werden wichtiger gemacht, als sie eigentlich sind. Ich denke, dass sie für unsere Gesellschaft nutzlos sind, im Gegenteil. Für mich sind sie nur ein Haufen Scheiße. […] Die Onkelz haben in ihrer 13-jährigen Geschichte höchstens 30 Konzerte gegeben. Es ist sogar von Ausschreitungen bei Konzerten von uns berichtet worden, obwohl wir gar nicht gespielt hatten. Unsere Fans sind absolut diszipliniert, die fahren auf die Musik ab, toben sich aus und das war’s. Einzelne Idioten gibt’s immer. […] Den Namen „Böhse Onkelz“ behalten wir, der soll irgendwann nicht mehr für rechts, sondern für positive Veränderung stehen.


    Frankfurter Rundschau, 1992


    Onkelz: Unsere Erfahrungen bleiben – so wie unser Name: Böhse Onkelz. Wir sind gegen: Rechten Terror, Rassismus, Gewalt gegen Ausländer, Intoleranz und dumpfe Parolen. Wir sind der Meinung: Hass sät Gewalt, Gewalt wächst zu Terror heran, auf diese Ernte können wir verzichten. Wir wissen, dass unsere Wandlung in der Öffentlichkeit auf Skepsis und Misstrauen stößt. Aber wir haben aus unseren Fehlern gelernt und hoffen auf eine faire Chance.


    Anzeige, Animalize, 1992


    Frage: Sie werden von der Presse als eine Kultband der rechtsradikalen Szene apostrophiert. Wie stehen Sie dazu?


    Stephan: Da muss man wohl unsere Vergangenheit in Anbetracht ziehen, dass wir ’ne Zeit lang alle Skins gewesen sind, die ja bekanntlich ’nen leichten Hang zum Rechtsradikalismus haben.


    Frage: Man sieht Ihnen das gar nicht mehr an.


    Stephan: Von daher können Sie auch an der Länge meiner Haare feststellen, wie lange das schon her ist. Die Vergangenheit hat uns den Ruf geschaffen, den kriegen wir kaum mehr los. Grad in unserm Land ist das verständlich, die Aktualität, Rostock, et cetera, da werden natürlich immer schnell alte Geschichten wieder aufgewühlt. Hinzu kommt natürlich, dass wir, glaub ich, die einzige Band sind, die eben mal Skins gewesen sind, die auch ’nen gewissen Erfolg haben.


    Frage: Was war damals das, was Ihnen jetzt nachhängt? Was gibt Ihnen dieses Image immer noch? Trotz der langen Haare und veränderter Texte?


    Stephan: Das hat mehrere Gründe. Zum einen hängt uns dieses Image nach, weil wir in Deutschland, glaub ich, ein Volk von Ignoranten und Kurzsichtigen sind. Man gibt den Leuten nicht die Möglichkeit, sich zu verändern oder einfach anzuerkennen, dass da irgendwie was passiert ist, in einem selbst, in jeglicher Hinsicht. Die Leute reiten immer auf dem rum, was mal irgendwo gewesen ist.


    Frage: Gut, vielleicht müssen wir doch den Zuschauer sagen, was damals gewesen ist.


    Stephan: Okay, also wir hatten ein Lied, das hieß „Türken raus“, das ist nie veröffentlicht worden, das war zu ’ner Zeit als wir anfingen, vor zwölf Jahren. Ein Stück, das wir eigentlich als Punks geschrieben haben […]. Dem Lied zugrunde liegt folgendes, dass wir halt ständig mit ausländischen Jugendgangs in Frankfurt […] aufgrund unseres Aussehens als Punks, et cetera, in Schlägereien verwickelt wurden. Und da haben wir einfach mit 16, 17 Jahren unseren Hass irgendwo rausgeschrieen. Wie gesagt, das Stück ist nie veröffentlicht worden, aber es ist eins von den Stücken, die uns halt eben angelastet werden und es ist auch ein Stück, was die Skins natürlich auch sehr gerne hören.


    Frage: Haben Sie damals das Gefühl gehabt, dass Sie eine Wut und ein Lebensgefühl artikulieren und auch ganz bewusst Tabus verletzen, oder haben Sie das einfach aus dem Bauch raus geschrieben?


    Stephan: Richtig, das kam eigentlich mehr aus’m Bauch. Ich hab mir nicht vorher Gedanken da gemacht, welche Reaktionen ich hervorrufen will, das ist einfach aus’m Bauch raus geschehen.


    Frage: Man wirft Ihnen vor, dass Sie, dadurch, dass Sie sich nicht wirklich distanziert haben, die ganzen Mitläufer, die ja dann bei diesen

    Asylbewerberheimen stehen, in Ihre Konzerte locken und denen auch eine Art geistiges Umfeld geben.


    Stephan: Also, das sehe ich ein bisschen anders. Also ich glaube schon, dass wir uns eindeutig geäußert haben. Nur das war nicht das, was die Medien hören wollten, das heißt in Interviews, wo wir eindeutig unsere Meinung gesagt haben, wie wir zu diesen ganzen Sachen stehen, wurde uns das Wort im Mund rumgedreht oder es wurden eben solche Dinge überhaupt nicht geschrieben. Die Medien wollten uns ganz klar in diese Richtung drängen und haben uns auch ganz bewusst irgendwo als Aufhänger genommen.


    Frage: Aber wo stehen Sie denn dann jetzt eindeutig? Sie müssen ja eine Haltung haben.


    Stephan: Ich steh hier. Selbstverständlich habe ich eine Haltung. Ich kann natürlich nicht akzeptieren was passiert. Das heißt, ich akzeptiere nicht, dass Molotowcocktails in Asylantenheime geschmissen werden, wo Kinder drin wohnen, et cetera. Ich mag weder eine rechte Bewegung, noch eine linke Bewegung, die sind mir beide zuwider – ich mag keine politischen Extreme.


    Stichwort: Anziehungskraft der Onkelz auf Rechtsradikale, auch schon wegen des Namens


    Stephan: Ich mein‘, da ist mit Sicherheit auch die Presse dran schuld. Nämlich so Bands wie Störkraft, die würde kein Arsch kennen, wenn sie die Presse nicht ständig erwähnen würde. […] Zum anderen: Würden Sie Ihren Namen ändern, nur weil Sie Ihrem Nachbarn mal vor die Tür geschissen haben? Das ist alles ein Teil von dem Ganzen, würde ich sagen, das ist ein Teil meiner Vergangenheit. Ohne dass ich durch die Scheiße gegangen bin, weiß ich nicht, was gut ist. Ohne dass ich krank war, weiß ich meine Gesundheit nicht zu schätzen.


    Frage: Als die Linksradikalen das Land in Atem gehalten haben, hat man auch ideologische Vorwürfe, etwa an Böll oder Amery, gemacht und gesagt: „Ihr habt das ideologische Feld bereitet“. Und man könnte sagen, durch das, was Sie jetzt machen und ohne dass Sie sich dezidiert distanzieren, bereiten Sie das Feld für Dinge wie Rostock.


    Stephan: Also das sehe ich anders. Also wir tun ganz klar auf unseren Konzerten, weil wir diese Problematik natürlich auch gesehen haben, ich habe nie die Ambition gehabt, vor einem Haufen Rechtsradikaler zu spielen. Und wir reden ja auch immer von einer kleinen Gruppe, die auf Konzerten anwesend ist und die eben, sage ich mal, ein Faible für härtere Musik hat. […] Mich stört’s ganz einfach nur: Ich spiel vor 5.000 Leuten und dann sind eben 50 Glatzen drin und wir reden hier immer nur über die 50 Glatzen und nicht über den Rest.


    Journalist: [Onkelz-Konzert Kaiserslautern: Parolen, hunderte Hitlergrüße, Schlägereien, rassistische Sprüche von Kevin]


    Stephan: Das is‘ ja wohl der Hammer! Sie sind ja wohl der größte Lügner, den ich je gesehen hab […]. Ich habe einen von unseren Securityleuten auf einen Skin gehetzt, der ’nen Hitlergruß gemacht hat, und deswegen war die Schlägerei, und deswegen hab ich meinen Bass abgeschnallt und bin da runtergegangen. Was Sie erzählen ist ja wohl die größte Lüge, also, dass Sie sich nicht schämen, ist ja wohl sagenhaft!


    Journalist: Also ich habe gesehen, wie sich zwei Menschen da vorne prügeln. Die Musik ist weitergegangen. Sie haben den Bass abgeschnallt und haben dort mitgemischt.

    Stephan: Sie haben einen Scheiß gesehen! […] Also wissen Sie, Sie hauen genau in die Kerbe. Das ist einfach zu lächerlich, ich hab gar keine Lust darauf zu antworten. Es gibt auch andere Zeugen für das Konzert, warum haben Sie die nicht eingeladen?


    Frage: Ein Journalist, der darüber geschrieben hat – ich gehe davon aus, dass eine gewisse Sorgfaltspflicht eines Journalisten, also ich meine, wenn er selbst…


    Stephan: Wissen Sie, die Sorgfaltspflicht von Journalisten, die habe ich oft genug kennen gelernt. Ich hab Artikel über mich gelesen, wo es drum ging, über Ausschreitungen nach Konzerten von uns, in Städten wo wir nie gespielt haben, über Übergriffe auf Asylantenwohnheime, nach Konzerten wo wir nie gespielt haben.


    Frage: Wie ist das aus ihrer Sicht, wenn Sie sehen, dass jemand die Hand hebt?


    Stephan: Also, ich beobachte mein Publikum sehr, sehr genau und es gibt mehr als einen Zeugen dafür, dass wir, wenn ich irgendwo ’ne Hand hochgehen seh, und nicht ’ne Hand die uns anfeuert, mit der Faust oder sonstwas, sondern eindeutig ’n Hitlergruß, dann fliegen die raus, sofort. Wir ham‘ Security-Leute dafür, die filzen die Leute vor der Halle. Wenn Leute kommen, mit T-Shirts die rechtsradikale Embleme tragen, et cetera, kommen die erst gar nicht rein.


    Frage: Sie wissen, dass die T-Shirts mit Ihren Emblemen auch getragen werden bei solchen rechtsradikalen Sachen.


    Stephan: Das ist mit Sicherheit richtig, dass es genug Leute gibt, die unseren Namen irgendwie für was benutzen womit wir nicht einverstanden sind.


    Frage: Aber gibt es nicht noch andere Möglichkeiten für Sie, sich zu distanzieren, außer dass Sie das gelegentlich sagen?


    Stephan: Das Problem ist einfach das: Ich hab wirklich versucht, noch und nöcher, mich zu äußern, und genau solche Journalisten sind das, die mir nicht die Gelegenheit geben. Ich sag die Wahrheit und die schreiben was anderes. Und das ist einfach der Grund warum wir gesagt haben wir geben keine Interviews mehr, weil wir in der Beziehung einfach resigniert haben, ganz einfach.


    Frage: Der Phonoverband möchte Sie aus den Charts ausschließen.


    Stephan: Richtig, für mich sind das die Faschisten. Das sind die Leute, die Zensur üben.


    Frage: Das ist ein bisschen sehr einfach.


    Stephan: Sie haben keine Vorstellung […]. Ich kack drauf, muss ich ganz ehrlich sagen, auf diese ganze miese Presse.


    Frage: Aber Sie müssen doch auch ein Interesse haben, dass Ihre Gruppe das Image bekommt, das ihr Ihrer Meinung nach zusteht. Und dafür müssen Sie doch auch was tun. Sie können doch nicht einfach sagen: „Ich lass die Medien laufen“. Irgendwann kriegen Sie diesen Stempel gar nicht mehr los.


    Stephan: Wir haben versucht, oft genug, diesen Stempel loszubekommen. Wir haben auf unseren eigenen Platten Kommentare von uns geschrieben, dass wir eben nicht so sind und dass wir damit nichts zu tun haben und auch keine Lust auf diese Leute haben. Dann sag ich bei den Konzerten, wir verteilen vor den Konzerten Flyers, dass wir keine Parolen dulden, dass wir keine Nazis auf unseren Konzerten haben wollen. Wenn ich das Gefühl hätte […], ich würde vor einer Menge Faschisten spielen, würde ich nicht auftreten.


    Frage: Würden Sie mal bei irgendeiner Veranstaltung gegen Rechtsradikale auftreten?


    Stephan: Natürlich. Aber ich würde nicht für ’ne Partei spielen.


    Frage: Würden Sie sich klar und deutlich gegen diese Ausschreitungen, gegen alles das erklären?


    Stephan: Volles Programm.


    Stichwort: Fehler in der Vergangenheit


    Stephan: Ich weiß auch, dass wir Fehler gemacht haben in unserer Vergangenheit. Das Einzige was ich möchte, ist einfach anzuerkennen, dass man sich verändert, dass man Erfahrungen sammelt, dass ich nicht derjenige bin, der ich vor zehn Jahren war, […] und dass wir ’ne gewisse Entwicklung mitgemacht haben, Dinge erkannt haben, die Verantwortung erkannt haben. […] Ich hab mich nie als Rechtsradikaler gefühlt, ich bin kein Rechtsradikaler, und von daher habe ich mir in dem Sinne nix vorzuwerfen, und das war’s.


    Stichwort: Konzerte der Fischer-Chöre


    Stephan: Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass da ein weitaus größeres Potential an Rechtsradikalen ist als bei unseren Konzerten.


    ARD, „Boulevard Bio“, 1992


    Frage: Wie fühlst du dich jetzt, nach einer erneuten Konzertabsage?


    Stephan: Ich bin einfach nur genervt von diesem Sündenbock-Suchen, den sie meinen in uns gefunden zu haben. Es gibt einfach keine objektive Auseinandersetzung mehr mit uns als Rockband – es ist ein Politikum geworden. Die Politiker nehmen uns als Mittel, um ihren Ruf zu verbessern, denn keine Stadt kann es sich mehr erlauben, irgendwo negative Schlagzeilen zu machen, was das Thema „rechts“ betrifft. Stell dir nur vor: Das ging heute bis zum Innenminister des Landes. Das geht weiß Gott zu weit, denn wir werden für etwas verantwortlich gemacht, wofür wir nix können. Ich verstehe das nicht – ich hab aber auch gar keine Lust mehr, es zu verstehen.


    Frage: Nach der „Wir ham‘ noch lange nicht genug“ habt ihr euch selbst einen Interview-Boykott auferlegt, den ihr jetzt wieder aufgehoben habt. Warum?


    Stephan: Weil es von uns einfach ’ne Reaktion geben musste, auf das, was leider gerade in Deutschland passiert, zum Beispiel die Vorkommnisse von Rostock, weil wir persönlich immer mit solchen Dingen in Verbindung gebracht werden. Wir haben keine Lust, dass es aussieht, als würden wir solche Dinge tolerieren oder unterstützen.


    Frage: Wie stehst du denn dazu?


    Stephan: Ich stehe dazu wie du, wie jeder normale Mensch. Ich kann so etwas nur verurteilen. Man kann es sich aber nicht so einfach machen und die ganze Schuld auf die Politiker abwälzen – in erster Linie müssen alle Menschen anfangen zu überlegen. Ich glaube auch nicht, dass wir auf einmal ein Volk von Nazis geworden sind oder dass wieder richtig braune Tendenzen zu spüren sind. Dieser harte Kern ist einfach nur zu mehr Gewalt bereit, wodurch auch viele Mitläufer bereit sind, solche Dinge zu tun.


    Frage: Viele sehen das Problem in der Wiedervereinigung.


    Stephan: Ich glaube zwar, dass die Art und Weise, wie die Wiedervereinigung vonstatten ging, nicht die beste war für Leute, die 40 Jahre in einer Art zusammengelebt haben, die darauf beruhte, den anderen zu verraten. Diese ganze Unterdrückung, das Maulhalten, ist natürlich die Ursache für diese Art Ausbruch. Und es spielen sicher auch soziale Gründe eine große Rolle. Ich denke schon, dass es drüben ’ne große Anzahl von Rechten gibt, aber das kann nicht alles sein. Es gibt immer Ursache und Wirkung.


    Frage: Wie bist du damals in die rechte Szene abgerutscht und wie kam es zu den Liedern „Türken raus“ und „Deutschland den Deutschen“?


    Stephan: Wir sind Anfang der Achtziger Jahre von der Punk- in die Skinhead-Bewegung gekommen, bedingt durch ein paar Texte, die sehr Skinhead-bezogen waren und durch die wir zu einer Art Kult-Gruppe der Skins geworden sind. Das ging ungefähr bis Mitte der Achtziger. Das war halt eine Phase meiner Entwicklung. Es hat mich zu dem gemacht, was ich heute bin. Und heute steh ich auch so ’n bisschen darüber, denn ich hab im Nachhinein Dinge an mir entdeckt, die weniger gut sind oder waren. Aber mit dem, was die Skinhead-Szene heute ist, kann ich nicht mehr einverstanden sein, denn damals war die Szene viel weniger politisch, und je politischer sie wurde, desto mehr hat sie uns widerstrebt.

    Ich halte es für falsch, die Zeit, die wir damals erlebt haben, auf den heutigen Tag zu projizieren. Die Lieder, die ich mit 18 schrieb, waren eine Reflexion dessen, was wir damals auf der Straße erlebt haben. Wir sind halt in Frankfurt groß geworden und haben so unsere Probleme gehabt. Es war ein ständiges Geben und Nehmen, wir haben von Ausländern aufs Maul bekommen und die von uns. Das waren aber Straßengang-Geschichten, die nichts mit der Skinhead-Szene zu tun hatten. Diese Lieder waren nicht dafür da, Wege zu ebnen, oder ich hab mir zumindest damals darüber keine Gedanken gemacht, weil ich vielleicht die Verantwortung nicht erkannt habe, die man hat, wenn man Musik macht. Außerdem hatten wir nie gedacht, dass diese Lieder so in die Öffentlichkeit kommen. Als wir anfingen, Musik zu machen, war absolut nicht absehbar, dass wir irgendwann mal Erfolg haben könnten. Diese Lieder werden viel zu überbewertet und es wird dabei vergessen, wer wir heute sind.

    Wenn ich natürlich diese Lieder im Nachhinein höre, dann muss ich diese einfach so bewerten, dass das ein Abschnitt meines Lebens war, aus dem ich gelernt habe und von dem ich mich distanziere. Ich sehe heute einfach viele Sachen anders als damals. Das ist eine Entwicklung, die nicht erst gestern stattgefunden hat, sondern es war ein Prozess über längere Zeit. Ich hab mich irgendwann ziemlich limitiert gefühlt in dem, was es heißt, Skin zu sein. Ich konnte mich auch mit dieser beschränkten Sichtweise, die man als Skin hat, in allen Ansichten, also auch was Politik betrifft, nicht mehr abfinden. Obwohl ich dazu sagen muss, dass die erste Generation Skinheads nicht so politisch war wie sie heute ist.

    Frage: Liebst du es zu provozieren? Ich denke zum Beispiel an „Nenn mich wie du willst„, wo Kevin singt: „…und ich bin stolz auf unser Land“.

    Stephan: Ich hasse nix mehr als hirnlose Mitläufer – und für die ist „Nenn mich wie du willst„, also für Leute, die sich an Dingen hochziehen, für die sie nix tun oder getan haben – irgendwo mitschweben – oder Leute, die einfach irgendwelche Gedanken übernehmen, ohne sich selbst welche zu machen. Genauso wie diese falsche Identifikation mit Ländern oder Sprüchen wie „Ich bin stolz ein Deutscher zu sein“, weil diese Leute vielleicht nicht stolz auf sich sind.


    Frage: Bist du stolz darauf, Deutscher zu sein?


    Stephan: Nee. Ich bin stolz, Deutscher zu sein, wie ein Amerikaner stolz ist, Amerikaner zu sein.


    Frage: Bist du Patriot?


    Stephan: Nee, wie kann ich stolz auf 90 Prozent der Bevölkerung sein, wenn ich sehe, was hier abgeht. Ich denke schon, dass wir ’ne Nation sind, die einiges erreicht hat und die einiges bewegen kann. Der Grund, warum wir das können, ist aber für mich nicht unbedingt ein positiver. Wie kann sowas wie das Wirtschaftswunder entstehen? Weil die Deutschen einfach ein Volk von Denunzianten sind, ein Herdentier par excellence. Wir können zwar ackern wie sonstwas, aber Sternstunden wie Schiller oder Goethe gibt’s halt nicht allzu oft.


    Frage: Ihr hättet heute sicher nicht die Schwierigkeiten, wenn ihr nach dem Demo mit „Türken raus“ und „Deutschland den Deutschen“, spätestens aber nach dem Live-Bootleg wo Kevin bei „Deutschland“ singt: „Schwarz-Weiß-Rot – wir stehn zu dir“, das Kapitel Böhse Onkelz geschlossen und mit einem neuen Namen neu angefangen hättet.


    Stephan: Genauso wenig wie du als Mensch deinen Namen ändern würdest, nur weil du einen Fehler gemacht hast, genauso wenig würde ich das als Band tun, denn das halte ich nicht für konsequent, sondern für rückgratlos. Die Band wurde 1979 gegründet und hieß auch damals schon Böhse Onkelz. Wir sind stolz auf diese Band – nicht auf „Türken raus“, aber auf das, was wir erreicht haben. Ich bekenne oder stehe zu dem, was ich irgendwann mal gemacht habe – ob ich das für gut halte oder nochmal machen würde, steht auf einem anderen Blatt. Ich würde das nicht nochmal tun. Außerdem: Wenn wir unseren Namen ändern würden, würde es nur heißen: „Ihr wart doch früher mal die Böhsen Onkelz“. Also, was tut das zur Sache? Die Leute sehen in uns auch Menschen, die wir nicht waren – ich finde nicht, dass wir Faschisten waren.

    Wir hatten sicherlich Texte, die leicht daraufhin deuten würden – aber das war halt ’ne andere Zeit. Nur wird sie auf die heutige Zeit reflektiert. Das eine hat mit dem anderen nix zu tun. Früher war’s Straßenkampf, heute Politik, wo die Leute Rassenreinheit propagieren. Diese Bootleg-Textteile kommen von Kevin, wofür er oft genug von mir angemacht wurde. Aber ich kann doch nicht für jede Entgleisung von dir, von irgendjemandem, geradestehen.


    Frage: Wie beurteilst du das Verbot rechtsradikaler Parteien?


    Stephan: Ich halte es für gefährlich, dieses Märtyrertum zu schaffen, denn das ist der Weg, wohin diese Parteien und Organisationen jetzt gehen. Ich glaube, dass dadurch der Zusammenhalt unter diesen Leuten vielleicht noch stärker wird. Das müsste man einfach mit anderen Mitteln bekämpfen. Ich halte jegliche Art von Indizierung für falsch, auch wenn es sicherlich Dinge gibt, gegen die man was machen muss, weil die Leute einfach ihren gesunden Menschenverstand nicht mehr gebrauchen, einfach fanatisch werden. Aber grundsätzlich glaube ich, dass man das anders anpacken muss. Ich bin kein Politiker, aber ich denke, man muss den Jugendlichen mehr Perspektiven geben, mehr Aufklärung betreiben und ihnen mehr Anlaufstellen bieten, denn das suchen sie halt: Freundschaft, Kameradschaft. So blöde das klingen mag.


    Frage: Was hälst du von den Republikanern oder der DVU?


    Stephan: Was soll ich davon halten? Die sind Scheiße! Idioten! Wir reden so viel über Politik – ich will eigentlich Musik machen.


    Frage: Viele bezeichnen euch als Wendehälse – vom Punk zum Skin zum Hardrocker mit langen Haaren.


    Stephan: Irgendwie sehe ich das gar nicht so negativ, ein Wendehals zu sein, denn Veränderungen, Entwicklungen durchzumachen, ist was relativ normales. Und wenn ich mein‘, dass es mir gut tut mich noch zehntausendmal zu wenden, dann mach ich’s.


    Frage: Deine Meinung zu Bands wie Störkraft, Endstufe, Kahlkopf?


    Stephan: Was Bands wie Störkraft schreiben, ist einfach zu hart und mit nichts zu rechtfertigen. Was die propagieren, ist wirklich Rassenreinheit und Faschismus in der härtesten Form. Ich hab auch eigentlich keine Lust, über die zu reden. Mir stinkt es selbst genug, mit den Leuten auf einer Seite in der Zeitung zu stehen. Ich find die einfach asozial. Ich halte die Texte in gewisser Weise für gefährlich, aber man darf halt nicht vergessen, dass die Leute, die durch solche Texte angesprochen werden, ’ne absolute Minderheit sind. Und wenn die Presse das nicht so hochpushen würde, würde sich kein Schwein dafür interessieren.


    Frage: Wie stehst du heute zur Indizierung von „Der nette Mann„?


    Stephan: Ganz ehrlich, das habe ich bis heute nicht verstanden. Indizierung ist für mich ganz einfach das falsche Mittel. Ich denke, wir können selbst entscheiden, was wir kaufen oder nicht, was wir hören wollen oder nicht, wer wir sein wollen und wer nicht. Die Gefahr, die es abzustellen gilt, geht nicht von einer Platte, einem Buch oder einem Film aus. Die Versäumnisse der Politiker werden immer auf den sozial Schwächeren abgewälzt – genauso wie ein Arbeitsloser, der behauptet: „Die Ausländer nehmen mir meine Arbeit weg“, anstatt sich Gedanken darüber zu machen: „Wie finde ich jetzt ’ne neue Arbeit, wie schul‘ ich mich um?“. Es gibt auf dieser Platte auch Lieder, die meiner Meinung nach wichtig sind, wie zum Beispiel der Song „Der nette Mann“, den wir noch heute auf Konzerten spielen. Ich kann auch nicht sagen, ich distanziere mich von seinem nationalsozialistischen Inhalt, weil der gar nicht darin sein sollte. Ich finde auch nicht, dass die Platte besonders nationalsozialistisch ist, sondern im Gegenteil gibt es darauf auch ein paar Stücke, die sich eindeutig gegen die Nazizeit richten. Selbst in dem Lied „Deutschland“ heißt es: „Zwölf dunkle Jahre in deiner Geschichte“. Es sind bestimmt ein paar Sachen drauf, die ein bisschen schräg rüberkommen – nur hab ich mich auch zur damaligen Zeit als Skin niemals zugehörig zu einer Partei gefühlt, die aus dem rechten Spektrum kommt.


    Frage: Viele wünschen sich die Vereinigten Staaten von Europa.


    Stephan: Prinzipiell eine gute Sache – aber ich halte das nicht für praktizierbar, weil die Menschen einfach noch noch nicht so weit sind. Meinetwegen können wir sogar ’ne vereinte Welt haben. Ich freue mich zum Beispiel immer wieder in New York das Vereinte Nationen-Gebäude zu sehen. Erstens hat dieser Name was Geiles und außerdem finde ich die Idee einfach gut. Nur wie gesagt, ich halte die Idee nicht für realisierbar, weil es halt Leute gibt, die sich als was Besseres, Erhabeneres fühlen. Der Mensch hat den Hang zum Egoismus und diese herablassende Art Leuten gegenüber, die es einfach unmöglich macht, gut miteinander auszukommen.


    Animalize, 1992

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