Distanzierungen 1988

  • 1988

    Frage: Seid ihr auch politisch?


    Onkelz: Nee.


    Kevin: Wir waren auch noch nie politisch.


    Tele 5, „Hard ’n‘ Heavy“, 1988


    Stichwort: Live aus dem Alabama


    Stephan: Wir wollten […] versuchen, irgendwie klarzustellen, dass Skinhead nicht automatisch gleich rechtsradikal und ausländerfeindlich ist.


    Gonzo: Wir wollen uns auch ganz eindeutig von [rechtsradikalen Fans] distanzieren.


    Frage: In den Augen der Öffentlichkeit ist die Skinhead-Szene aber eindeutig extrem neofaschistisch eingestellt.


    Stephan: Das ist leider nicht ganz unrichtig. Vor allem in den letzten Jahren ist ein Teil der Skins klar nach rechts abgedriftet. Tatsache ist auch, dass politische Organisationen versuchen, direkten Einfluss auf Skins zu gewinnen. Das geht so weit, dass sie zu unseren Konzerten kommen und Stände aufbauen oder Flugblätter verteilen wollen. Das lassen wir jedoch unter keinen Umständen zu. Die fliegen ganz einfach raus! Sieh das doch mal so: Wenn die an die Macht kämen, dann wären wir doch die ersten, die ins KZ kämen. So von wegen lange Haare, undeutsche Musik, staatsfeindliches Verhalten. Einer von uns zum Beispiel hat den Wehrdienst verweigert und leistet zur Zeit seinen Zivildienst ab – und aus welchen Gründen auch immer. Und da sagt man uns noch ernsthaft nach, wir würden Neofaschisten unterstützen oder seien gar selbst welche? Wir sind zwar Musiker, aber keine Idioten!


    Frage: Warum der Wechsel ins Skinhead-Lager?


    Stephan: Was heute noch als Skinhead auftritt, hat meistens nichts mehr mit dem zu tun, was ursprünglich Skin-Movement war. Übriggeblieben sind oft nur noch die, die tatsächlich rechtsradikal eingestellt sind. Die anderen, die von Anfang an dabei waren und die Bewegung mit aufgebaut haben, die haben sich inzwischen weitgehend abgesetzt und distanziert, weil sie damit nichts zu tun haben wollten. Das gilt auch für uns. Nicht umsonst haben wir uns die Haare wachsen lassen. Wir wollen auch äußerlich dokumentieren, dass die heutige Skinszene nicht unsere Szene ist. […] Eine andere Sache allerdings ist, dass für uns die Politik, so wie sie uns von den herrschenden gesellschaftlichen Gruppen und Parteien jeden Tag vorgespielt wird, absolut unglaubwürdig geworden ist. […] Die einzige Partei, die zur Zeit noch einen Hauch von Glaubwürdigkeit besitzt, sind die Grünen. Sie könnten eine echte Alternative bieten, wenn sie zur Geschlossenheit zurückfinden würden. […] Mit der ganzen Radikalisierung [der Skinszene] hatten wir […] nie was zu tun. Als wir erstmals bewusst mitbekamen, wohin der Zug plötzlich fuhr, auf dem wir als Kultband der Skins irgendwo mit draufsaßen, haben wir damit begonnen, gegen unsere eigenen Leute zu schreiben, um sie irgendwie zu bremsen.

    Gonzo: Seitdem sind wir alle noch um einiges bewusster geworden. Wir glauben, dass unsere einzige Chance sowohl musikalisch wie auch menschlich-politisch im Crossover liegt. Es hat keinen Sinn, wenn Glatzen auf Punks, Metaller auf Hippies und jeder gegen jeden losgeht. Statt uns gegenseitig zu bekämpfen, sollten wir viel mehr zusammenhalten gegen die, die uns alle zusammen be- und unterdrücken, gegen korrupte Politiker, Umweltzerstörer, Kriegstreiber und gegen ein politisches System, für das der Einzelne ein Dreck ist.

    Metal Hammer, 1988


    Frage: Die Texte der ersten LP waren doch wohl stark auf die Skin-Szene bezogen?


    Stephan: Ja, das ist richtig. Zu dieser Zeit waren wir halt auch Skins gewesen und haben voll hinter der Bewegung gestanden. […] Inzwischen haben wir mit dieser Szene eigentlich nichts mehr am Hut.


    Frage: Wie kam es zum Wechsel von Rock-o-Rama zu Metal Enterprises?


    Stephan: Rock-o-Rama haben uns finanziell ziemlich beschissen und nahmen außerdem immer mehr rechte Gruppen in ihr Repertoire auf, was uns auch nicht gelegen hat.


    Mega Mosh, 1988


    Frage: Ihr wart früher Skinheads und habt auch eindeutig Texte über eure Verbundenheit zu „[Link]Deutschland“ gemacht. „Deutsche Frauen, deutsches Bier, Schwarz-Rot-Gold, wir stehn zu dir“ – heute distanziert ihr euch davon?


    Stephan: Aber in dem Text, muss ich dazu sagen, is‘ auch ’ne Textzeile wo ich ganz deutlich betone: „Zwölf dunkle Jahre in deiner Geschichte“, und damit ist die Zeit von ’33 bis ’45 gemeint, dass wir damit nichts zu tun haben und dadrauf eigentlich keinen Bezug haben wollen.


    Gonzo: Damit ist die Distanzierung von vornherein schon gegeben gewesen. Aber die Leute ham‘ über die Zeile weggelesen.


    Frage: Aber wenn ihr euch heute davon distanziert, war das damals wirklich Message oder ging es da um Kohle?


    Pe: Auf keinen Fall, das war halt damals so!


    Kevin: Um Kohle ging’s uns eigentlich noch nie.


    Pe: Das war ein Gefühl, damals gab’s ja noch keine Skinheads, wir waren ja so ziemlich mit die ersten. Die erste Reihe sozusagen. Ich war völlig begeistert davon.


    Stephan: Ich steh auch heut noch zu den Sachen. Aus dem einfachen Grund weil ich damals so empfunden hab. Ich hab nie irgendwas für Kohle geschrieben, sondern ich hab das damals so gedacht und deswegen hab ich das so geschrieben. Heute denke ich ein bisschen anders darüber und deswegen würde ich heute sowas nicht mehr schreiben. Weil es eben auch zu viel missverstanden wurde. Das war nicht in meinem Sinne oder nicht im Sinne der Band.


    Frage: Seid ihr dabei, euch jetzt auch politisch ganz davon zu distanzieren oder ist es so, dass ihr damit vielleicht sogar die Skinheadbewegung ein bisschen verratet?


    Kevin: Was für eine Skinbewegung denn? Die Leute, die jetzt noch Skins sind, das sind zu 98 Prozent Rechtsradikale. Die sich auch politisch organisieren, weil es immer heißt, dass man ohne sich politisch zu organisieren kein Skinhead ist.


    Stephan: Das ist nicht mehr die gleiche Bewegung wie sie früher war.


    Kevin: Das gab’s früher nicht. Von vornherein müssen wir das mal klarstellen. Die Skinbewegung heute, die ist also nicht mehr unsere Bewegung. Von der distanzieren wir uns ganz weit.


    Frage: Ihr findet auch also diese Primitivskins zum Kotzen?


    Pe: Das kommt auf jeden Einzelnen an. Wenn jemand ’n Arschloch ist, dann ist er ein Arschloch und wenn er dumm ist, dann kann er dumm sein.


    Stephan: Ich finde halt politische Leute zum Kotzen. Es gibt auch Leute, die nicht mit mir einer politischen Meinung sind, die aber trotzdem unheimlich nette Kerle sind, mit denen ich mich auf eine andere Weise gut verständigen kann. Das ist halt so eine Sache, wenn jemand ein Arschloch ist, dann ist er halt ein Arschloch, ist doch egal, ob’s ein Skin, ein Punk oder irgendein Metaller ist. Das ist dann egal, ja!


    Frage: Seid ihr richtig aus Überzeugung Skins oder Modeskins?


    Stephan: Nee, wir waren richtig aus Überzeugung Skins, das kam aus uns heraus. Aus unserem tiefsten Inneren.


    Stichwort: Politik


    Stephan: Ich mach bestimmt nochmal Lieder über Politik, über Politiker oder so, aber ich werde die dann nicht mit Namen ansprechen, sondern allgemein, die Situation, die hier herrscht, das werde ich bestimmt schon mal machen, aber… weil…


    Frage: …die Scheinheiligkeit?


    Stephan: Richtig, das ist für mich ein ganz wichtiger Punkt, weil eben diese ganze Unehrlichkeit, das stinkt mir halt doch ganz gewaltig. Weil die Leute machen sich irgendwie alle was vor und sind irgendwie alle schizophren, das ist halt ’ne Sache, die mir dann doch immer übel aufstößt.


    Pe: Jeder hängt seine Nase nach dem Wind.


    Frage: Wenn Michael Kühnen beispielsweise sagen würde: „Die Böhsen Onkelz hätte ich gerne zu meinem Kameradschaftstreffen“?


    Stephan: Würden wir ablehnen, sofort. Würden wir lachen.


    Frage: Würdet ihr nicht machen?


    Stephan: Nee.


    Gonzo: Die Republikaner haben uns ja auch schon gefragt.


    Stephan: Zu Skinzeiten hätten wir das nicht gemacht und das hätten wir auch heute nicht gemacht. Also vor Parteien, et cetera.


    Kevin: Genau. Das hätten wir auch zu Skinzeiten nicht gemacht!


    Frage: Ihr lasst euch nicht vor den Karren spannen?


    Stephan: Vor keinen Karren. Wir spannen uns vor unseren eigenen Karren. Die einzige Sache, für die ich vielleicht mal benefizmäßig was machen würde, das wären so Sachen wie Greenpeace oder sowas, wo ich mich wirklich persönlich identifizieren kann, wo ich auch hundert Prozent dahinterstehen kann. Aber das ist eben auch keine politische Bewegung, für mich zumindest.


    Spiegel TV (nie gesendet), 1988


    Frage: In „Frankreich ’84“ heißt es „Frankreichüberfall“, da habe ich gleich an Hitler gedacht. Wie ist das denn aufzufassen?


    Stephan: Da ging das Interesse am Fußball, vielleicht auch an Ausschreitungen unter Fans und so weiter, das ging halt ein bisschen verloren, das wurde vielleicht ein bisschen zu politisch dargestellt.

    Vielleicht haben wir auch einen Fehler gemacht im Textschreiben und nicht deutlich genug ausgedrückt, was wir damit meinen. Wir haben einen ziemlichen Hals auf die Franzosen gehabt zu dieser Zeit, wir haben da so auf die Schnauze bekommen von den Bullen, und das war so ein bisschen Hasstirade auch auf die, das war schon dabei, aber es sollte eigentlich keine Volksverhetzung oder irgend so ein Quatsch sein, also damit haben wir nichts am Hut.


    Frage: Als ich das erste Mal von euch gehört habe, war das auch ein bisschen in Richtung Rechtsradikalismus. Wie seht ihr denn das? Stört euch das oder ist das zutreffend?


    Stephan: Das ist schon ein ziemliches Problem mittlerweile für uns. Ich kann halt nicht mehr auf der Bühne stehn und zugucken, wie Leute den rechten Arm hochstrecken und „Sieg Heil“ schreien oder sowas. Und wenn ich dann irgendwas dagegen sage, dann schreien die zu mir noch, ich wär‘ ein Jude oder sowas. Und da fangen halt die Probleme für uns an. Ich hab eigentlich keine Probleme mit Skins, solange sie sich so verhalten wie andere Fans auch. […]

    Ich war ja schließlich jahrelang selber einer, nur kann ich mich auch nicht mehr unbedingt mit der ganzen politischen Ideologie identifizieren. Die Sache wird halt langsam zu krass, und das war auch ein Ding, wo wir gesagt haben, wir wollen uns davon, auch äußerlich, ein bisschen distanzieren.


    Frage: Also, ihr wart mal Skins gewesen. Was steckt denn dahinter, was für eine Ideologie oder Lebensauffassung?


    Stephan: Für uns war das einfach eine Arbeiterbewegung. […] Wir haben am Anfang hauptsächlich schwarze Musik und sowas gehört. Viele, die jetzt neu dazukommen, wissen das eigentlich gar nicht, die haben eine ganz andere Vorstellung von dem, was das bedeutet.


    Frage: Kann es sein, dass ihr absichtlich Texte macht, die missverstanden werden können?


    Stephan: Sagen wir’s mal so: Ich ärgere die Leute schon ganz gerne, so ist es nicht. Also, ich schreib auch fast 90 Prozent aller Texte. Mir ist es lieber, jemand regt sich über einen Text auf, als dass es ihn total kalt lässt, oder irgend so ein „Lalala“, da hab ich keinen Bock drauf. Ich will manchmal auch schon ein bisschen missverstanden werden.


    Frage: Okay, aber dann provoziert ihr die Sache auch mit, so wie sie jetzt ist.


    Stephan: Ja, in die Richtung will ich halt nicht mehr weiter gehen, was das Politische betrifft. In die Richtung will ich halt nicht mehr provozieren, sondern das sind ganz andere Sachen, was unser Umfeld betrifft, da will ich provozieren, aber nicht was Politik betrifft, da würd‘ ich nicht mehr weitergehen. Da sind wir schon manchmal zu weit gegangen.


    Frage: Inwiefern zu weit?


    Stephan: Indem wir gemerkt haben, wenn wir versucht haben, einen patriotischen Ausdruck in unsere Lieder zu bringen, dass die Leute das nicht mehr verstanden haben. Dass die die Texte halt weglassen oder nicht hören wollen, in denen wir singen, dass wir das nicht wollen, wie es ’33 bis ’45 war. Die hören dann einfach nur den Chor, in dem es heißt „[Link]Deutschland, Deutschland“ und fangen an, die Hand hochzustrecken. Da haben wir halt einen Fehler gemacht, dass wir das nicht noch klarer dargestellt haben.


    Frage: Findest du, dass Deutsche Schwierigkeiten haben, mit ihrem Bezug zur Heimat, und dass ihr vielleicht auch einen Teil dazu beitragen könnt, das zu ändern?


    Stephan: Eigentlich ist es mir scheißegal, was Deutsche für Probleme mit ihrer Heimat haben oder mit ihrem Land. Das heißt, die Vergangenheit ist mir nicht egal, aber mit der habe ich nichts mehr zu tun und ich will die auch nicht jedes Mal für mich wieder aufgerollt bekommen. Das ist alles passiert und damit muss man irgendwie leben. Aber ich find, wir brauchen kein schlechtes Gewissen zu haben […] Ich renn auch nicht rum mit „Ich bin stolz ein Deutscher zu sein“ oder sowas, aber ich finde, damit sollten wir langsam mal anfangen, die ganze Sache ein bisschen abzubauen, weil ich denke, dass wir nicht mehr allzu viel Grund haben. Naja, wenn wir jetzt die Republikaner sehen, vielleicht kriegen wir doch mal wieder Gründe.


    Frage: Gerade Republikaner, wie stehst denn du politisch dazu?


    Stephan: Also, ich wähl nicht mehr. Ich hab früher gewählt und eigentlich auch ziemlich links gewählt, weil mit rechten Parteien kann ich mich ja überhaupt nicht identifizieren. Aber ich kann mich mittlerweile nicht mehr mit linken Parteien identifizieren. Ich kann mich mit gar niemanden mehr identifizieren.


    Frage: Kennst du die Jungs von Kahlkopf oder Endstufe?


    Stephan: Ja, leider.


    Frage: Was meinst du, sind das Leute wie du oder sind das richtige Skins?


    Stephan: Da gibt es hier in Deutschland wahrscheinlich nur noch ganz wenige. Und Kahlkopf sind bestimmt keine davon. Ich hab auch keinen Bock auf die Leute. Ich will mich darüber jetzt nicht auslassen, die sind mir einfach scheißegal. Ich will mit denen nichts zu tun haben.


    Frage: Was verstehst du denn unter Skin?


    Stephan: Das war das, was ich vorhin erzählt habe. Für uns war Skinhead, als das anfing, keine politische Bewegung. Das war einfach so eine Arbeiterbewegung, für Arbeiterkids ganz einfach. Und auch die Musik war eben schwarz. Wie kann ich denn rassistisch sein, wenn ich Ska gehört habe oder viel Reggae-Sachen und so? Das ist heute einfach eine andere Bewegung, wie sie eigentlich war, die wir am Anfang gehabt haben oder haben wollten.


    Stichwort: Texte sind nicht mehr so provokativ wie früher


    Stephan: Du musst ja überlegen, ich lern ja auch dazu als Textschreiber. Ich hab auch kein Bock mehr, auf die Dumme zu provozieren, sondern ich kann jetzt auch anders provozieren. Ich hab die Möglichkeit dazugelernt halt andere Texte zu schreiben. Ich würd‘ viele Texte, die ich früher geschrieben habe, niemals mehr so schreiben, das würde ich heute ganz anders machen. Das ist einfach ein Entwicklungsprozess.


    Frage: Würdest du das, was du gesagt hast, dass du dich verändert hast, auch auf den Rest der Gruppe beziehen?


    Stephan: Ja, logisch. Wir haben uns alle zusammen entwickelt […], sonst wären wir wahrscheinlich nicht mehr zusammen.


    Frage: Also hängt ihr jetzt wirklich eurem Ruf, den ihr irgendwann mal mit gesteuert habt, ein bisschen nach?


    Stephan: Ja, dem hängen wir nach, aber der ist mir im Endeffekt auch scheißegal […]. Was mich stört ist der politische Nachgeschmack in unserem Namen, den würd‘ ich schon ganz gerne loshaben. Aber ich hab auch keine Lust, mit aller Gewalt, vielleicht mal einen Titel gegen Nazis zu schreiben, damit die Leute das endlich glauben würden.

    Das würd‘ ich irgendwie falsch finden. Ich denk mir einfach, wir müssen was dafür tun, auf Konzerten, vielleicht mit Leuten sprechen, denen erklären, wie wir drauf sind, weißt du, damit die uns nicht falsch verstehen. Das ist mir wichtiger, als wenn ich das an die große Glocke häng. Da kämpf ich lieber meinen kleinen Kampf, das ist mir lieber als die Schleimerei überall.


    Unbekannte Quelle, 1988

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