Beiträge von liederwieorkane

    Das Album hat bei mir im Vorfeld der Veröffentlichung eine fast schon verloren geglaubte Vorfreude geweckt (weshalb ich mich überhaupt erst hier angemeldet habe) und es hat mich beim ersten Hören dann auch mehr gepackt als Memento. Und ja, es ist ein gutes bis sehr gutes Album.


    Mit jedem Durchlauf merke ich jedoch auch, dass ich wohl zu Beginn geneigt war, meine Vorfreude mit Gewalt belohnt sehen zu wollen und das neue Album meiner Lieblingsband auch mir selbst als „Bombe“ verkaufen zu wollen. Dass es diese Bombe für mich in der Rückschau vielleicht doch nicht werden könnte, scheint mir vermeidbar und hat auch nichts damit zu tun, dass ich mich mit Entwicklungen schwer tun würde (im Gegenteil, siehe unten). So war die Dopamin in meinen Augen der beste Fortschritt, während E.I.N.S. Für mich bis heute sicher das Onkelz-Album ist.


    Positiv: Das Album ist in sich stimmig, was bereits beim Titel sowie der Covergestaltung beginnt und sich im gelungenen Prolog fortsetzt. Dann gefällt mir Kevins Stimme (auch in der Vielfalt) – zumal die Texte auf der Scheibe spitze sind, was für mich bei Memento noch ein ungewohnter Kritikpunkt war. Hervorzuheben sind außerdem zwei Songs. Nämlich einerseits „Der Hund, den keiner will“, ein total geiles Expermient, das mir jedes Mal ein Lächeln ins Gesicht zaubert. Andererseits „Die Erinnerung tanzt in meinem Kopf“: Nahe an der Perfektion und dürfte bereits jetzt in meiner Top-5-Onkelz-Liste gelandet sein. Unfassbare Stimmung, die da transportiert wird. Möchte es auch gar nicht weiter zerreden, für mich in jeder Beziehung 10/10!


    Negativ (Jammern auf hohem Niveau): Gerade da Kevin gut aufgelegt ist, sind mir Stephans Gesangsanteile zu hoch und an vielen Stellen ist mir die Stimme zu leise. Hier bin ich mir noch unsicher, ob das eine Frage der Abmischung oder der sonstigen Instrumentalisierung ist. Ferner hätte ich mir 1-2 Themen mit mehr Bezug zur aktuellen Lage erhofft. Das düstere „Rennt!“ bleibt mir da etwas zu vage. Apropos düster – dieser Charakter scheint mir an manchen Stellen etwas aufgesetzt und auch die fast durchweg tiefen Gitarren versuchen doch auf Biegen und Brechen eine gewisse Härte zu vermitteln. In diesem Zusammenhang lassen manche Songs auch einen Wiedererkennungswert vermissen und ich bin einfach überzeugt, dass ein Album der Onkelz immer ein paar Stücke dieser Art haben sollte. Hier stelle ich auch ein wenig die Live-Tauglichkeit der aktuellen Scheibe in Frage. Wenn ich versuche, mein schwammiges Gefühl zu präzisieren, so hat das viel mit dem Gefühl zu tun, das ich – mit Ausnahme von „Schneller, Höher, Weidner“ – bei den Solo-Alben von Stephan hatte: Tendenziell überladene und verkopfte Kompositionen mit weniger eingängigen Refrains; wechselnde und kantige Riffs, gegen die z.T. angesungen werden muss und die auch das Hören stellenweise anstrengend machen. Denn in meinen Augen braucht nicht jeder Song einen Pre-Chorus und es ist auch okay, wenn der Gesang in den Strophen mal nur von gedämpften Powerchords im Hintergrund begleitet wird oder der Refrain beispielsweise von Akkorden getragen wird, die über ganze Takte ausgehalten werden. Das ganze geht hier für mich leider zu Lasten von Gonzos Solospiel. Während ich sonst immer jedes seiner Soli sofort mitpfeifen konnte, weil sie einfach auf natürliche Weise in die Stimmung des Songs passten, habe ich nun den Eindruck, dass man auf ein Solo nicht verzichten wollte, dass das Stück aber bereits zu überfüllt ist, um hier eine entsprechende Bühne zu bereiten. Das soll nicht bedeuten, dass Gonzos Spiel auf dem vorliegenden Album weniger virtuos sei – im Gegenteil!


    Kuchen und Bier (8/10): Tolle Überleitung zum Prolog, nimmt dann viel Anlauf zu einem insgesamt gelungenen Song, der vom Text und dem ausnahmsweise eingängigen Refrain lebt. Weiß nicht, ob er live als Opener taugt.


    Der Bruders Hüter (6/10): Höhepunkt sind die Akzentuierungen in der Strophe. Ansonsten sehr solide, aber eben auch das Paradebeispiel für einen Song, der ohne Kevins Stimme locker leicht auf der jüngsten W-Platte durchgegangen wäre.


    Ein Hoch auf die Toten (7/10): Steigerung, auch aufgrund des guten Themas und des hier homogenes Solos von Gonzo.


    Prawda (3/10): Ist nüchtern betrachtet keine Katastrophe, aber weit unter Onkelz-Niveau und für mich der mit Abstand schwächste Song des Albums. Ich muss mir schon bewusst merken, dass die Strophe ganz gelungen ist. Ansonsten leider recht nichtssagend, bleibt zu keiner Sekunde hängen.


    Saufen ist wie weinen (9/10): Das Vorspiel ist sehr cool, wenngleich es insgesamt wieder langatmig daher kommt und der zweigeteilte Refrain an der Grenze ist. Dennoch für mich das zweitbeste Stück: Gutes und reifes Thema mit Ohrwurm im zweiten Teil des Refrains und insgesamt super Strophe. Liegt neben Kevins eindrucksvollem Gesang vor allem daran, dass die anderen Instrumente sich hier einmal zurück halten.


    Wie aus der Sage (8/10): Zwar auch düster und langatmig, aber man kann nicht leugnen, dass hier schon eine eindrucksvolle Atmosphäre erzeugt wird, die dem Stück letztlich ein Alleinstellungsmerkmal verleihen.


    Du hasst mich! Ich mag das! (6/10): Nette Bridge, erfüllt für mich ansonsten aber viele der o.g. Kritikpunkte. Der Refrain möchte zwar als Ohrwurm daherkommen, wirkt aber etwas aufgesetzt.


    Rennt (5/10): Erkenne das gut gewählte Thema und die musikalische Idee. Kevins Stimme, speziell bei „Rennt!“, werten das ganze etwas auf. Ansonsten aber noch verkopfter und langatmiger als zuvor.


    Wer schön sein will, muss lachen (6/10): Es geht bergauf – klarere Struktur und getragener Start in den Refrain, ehe es mir mit dem „Rausbringen des Mülls“ usw. wieder etwas zu viel wird.


    Der Hund, den keiner will (9/10): Alle Hüte ab, teilt sich mit „Saufen ist wie weinen“ Platz 2. Das sind gelungene Experimente, wie ich sie mir noch öfter gewünscht hätte


    Flügel für dich (6/10): Guter Refrain, aber die Grundkritik bleibt für mich. Holpriger Übergang vom Refrain zurück in die Strophe. Kann ich mir gut anhören, wird aber kein Hit.


    Die Erinnerung tanzt in meinem Kopf (10/10): Siehe oben, unglaublich von der ersten bis zur letzten Sekunde. Bekommt gegen Ende durch den modifizierten Refrain nochmal einen neuen Charakter, aber auf sehr natürliche Weise. Mir ist klar, dass nicht 12 Songs in diesem Stil sein können und sollen. Aber irgendwie fällt schon auf, dass die Komposition hier weniger anstrengend ist.